Kommentar von Verena Mosen

 

Neulich - nachts am Berliner Hauptbahnhof!

Residenzpflicht abschaffen - unbeschränktes Aufenthaltsrecht für alle!

 

18.10.06

 

Wie sagt mensch schön – wenn eine eine Reise tut, dann kann sie was erleben.
Nichts Böses ahnend, bin ich neulich abends mit meinem Freund am Berliner Hauptbahnhof auf dem Weg zu einem netten gemütlichen Spieleabend gewesen.
Wir stehen so am Bahnsteig rum und warten auf den Zug nach Stralsund, da es schon spät war, waren wir fast die einzigen Reisenden. Fast - denn außer uns saß dort noch eine Vietnamesin, die in einem Kinderwagen ihr acht Monate altes Baby dabei hatte.

 

Auftritt der bösen und der guten Cops!

 

Wie üblich schlendern des Nachts gerne gelangweilte BGS-Beamte durch den Berliner Hauptbahnhof und begeben sich zufällig in unsere Nähe, zu der Vietnamesin, meinem Freund und mir. Und natürlich löst dies die übliche rassistische Roboterhandlung der „BGS-Bullen“ - in diesem Fall möchte ich einfach kein anderes Wort benutzen - aus.
Vietnamesin - verdächtig, also schleichen die sich an die Frau ran, „Ausweiskontrolle, die Aufenthaltsgenehmigung, Reisepapiere, Residenzpapiere und das ganze zackig!“ brüllt der eine, die Frau fängt an zu zittern und kramt hektisch in ihrer Tasche rum.
Warum muss ein Mensch, der sich lediglich von A nach B begeben will, einen Hefter mit 20 Seiten Dokumenten mit sich rumschleppen, während wir „ungefährliche und durchschnittliche“ Deutsche meistens unbehelligt, spontan und ohne große Probleme diese Reise machen können? Die Sache entwickelt sich leider brenzlig für die Frau, sie ist eine Asylbewerberin, das für sie zuständige Ausländeramt in Bautzen schreibt ihr vor, dass sie die sogenannte Residenzpflicht einzuhalten hat - mit anderen Worten, sie darf ohne Genehmigung und langwierigen Behördengang den Landkreis Bautzen nicht verlassen. Nun ist diese Vietnamesin aber zweifache Mutter, das eine Kind hat sie dabei, das andere Kind liegt schwer krank im Krankenhaus in Stralsund. Als Mutter macht sie sich natürlich Sorgen und unternimmt das Natürlichste der Welt: sie will ihr Kind im Krankenhaus besuchen - darf sie aber nicht - in unserer ach so schönen demokratischen freien Republik! Da die BGS - Beamten langsam aber sicher unangenehm, ausfallend und aufdringlich werden, beschließen mein Freund und ich uns einzumischen und ihnen auf die Finger zu schauen bzw. zu klopfen. Zunächst haben wir uns einfach dazu gestellt und sie stillschweigend fünf Minuten beobachtet. Das stinkt den Beamten gehörig: „Wer sind Sie denn? - Lassen Sie uns in Ruhe unsere Arbeit tun und gehen sie weiter!“ Daraufhin haben wir ihnen mitgeteilt, dass wir die Frau unterstützen wollen und mal prüfen wollen, wie unser, ach so schöner, Menschen-Rechtsstaat funktioniert. Das passt Ihnen gar nicht, Verstärkung wird angefordert - zuerst standen dort drei Beamte rum, am Schluss bekamen wir drei eine sehr intensive Betreuung durch sechs Beamte.

 

Aber zurück zur eigentlichen Kontrolle: Natürlich fanden die Beamten recht schnell heraus, dass die Vietnamesin ihre Residenzpflicht verletzt hatte. Und die Tatsache, dass sie als besorgte Mutter lediglich ihr schwerkrankes Kind besuchen wollte, interessiert die Beamten - die übrigens alle Familienväter waren und in derselben Situation, nämlich dass sie jemand am Besuch ihres kranken Kindes gehindert hätte, sicher ausgerastet wären - gar nicht. Kein Mitleid, kein Mitgefühl, es wird kein Auge zugedrückt. Allein der Fakt - Asylbewerberin, die gegen „herrschendes“ Ausländergesetz verstoßen hat - wird berücksichtigt. Die Frau soll mit zur Wache. Reichlich genervt und irritiert sind die Beamten dann, als wir erklären, dass wir die Frau, die Beamten und den mittlerweile aufgetauchten scharfen Polizeihund begleiten.

 

Auf der Wache angekommen, kümmern sich nun sechs Beamte gleichzeitig, der Rest der Geschichte ist kurz erzählt, wir dürfen nicht durch die Glastür hindurch und müssen fünf (!) Stunden hilflos zusehen, wie der Apparat und seine Apparatschiks funktionieren, die Vietnamesin sitzt völlig fertig heulend in der Wache, hilflos, da sie die Chance, ihr Kind zu besuchen, schwinden sieht. Und tatsächlich: Sobald der letztmögliche Zug nach Stralsund weg ist, lassen sie die Frau endlich gehen. Nun sitzt sie aber, ihre Residenzpflicht verletzend, nachts um zwölf auf dem Berliner Bahnhof, es gibt weder die Möglichkeit nach Stralsund zu fahren, es gibt aber auch keinen direkten Zug mehr nach Bautzen, wo sie sich ja sofort wieder hinbegeben soll, und zwar nicht über Los! Die einzige Möglichkeit sich weg zu begeben ist eine Zugverbindung mit vierstündigem Aufenthalt in Görlitz, nachts ab halb vier. Görlitz? Mensch kann sich des Nachts wirklich einen sichereren Ort für eine Vietnamesin mit Kinderwagen vorstellen. Das ist aber den Beamten egal - auch egal ist ihnen, dass sie damit die Frau auffordern, ihre Residenzpflicht nun weiter zu verletzen, indem sie sich nun noch weiter von ihrem eigentlichen Aufenthaltskreis entfernt. Für sie ist der Fall abgewickelt.

 

Und nun, nach fünf Stunden, kommen die sichtlich von uns genervten Beamten heraus und stellen folgendes fest: „Wenn Sie der Frau wirklich helfen wollen, anstatt hier einigermaßen doof in der Gegend rum zu stehen, tun Sie ihr den Gefallen und erklären Ihr, wieso sie die Residenzpflicht verletzt hat, begleiten Sie sie zum Reisezentrum und helfen Sie ihr, dass sie dort die Fahrkarte nach Bautzen umschreibt.“ Jetzt wollen sie uns also auch noch aufdrücken, dass wir Ihren Job machen und die Residenzpflicht durchdrücken. Ganz klare Ansage von uns: „Mit uns nicht, wenn es schon so einen bescheuerten  und rassistischen Paragraphen wie die Residenzpflicht gibt, ist das Ihr Job, das durchzudrücken. Wenn es nach uns geht: Residenzpflicht abschaffen, Menschenrecht und Rechtsstaat verwirklichen und unbeschränkte Aufenthaltsgenehmigung für alle Asylbewerber und Illegalen in Deutschland!“

 

Woraufhin die Beamten übrigens wieder ziemlich ungemütlich werden. Sowieso haben sie sich schon die ganze Zeit dafür interessiert, wer mein Freund und ich eigentlich sind und was wir mit der Frau zu tun haben. Um die Sache auch für uns endlich mal zu einem Ende zu bringen, schließlich stehen auch wir schon seit fünf Stunden vor der Polizeiwache rum, antworte ich: „Ich bin katholische Theologin und eine solch rassistische Menschenrechtsverletzung geht mich als Christenmensch etwas an und fordert meinen Widerstand.“ Zunächst lässt der Bulle das gelten, kehrt aber nach kurzer Zeit zurück. Nachdem er sich mit seiner Chefin besprochen hat, wird er nun wirklich unangenehm: Ob wir die Frau kennen, ob ich vielleicht durch längere Missionstätigkeit vietnamesisch spreche, wo wir denn eigentlich hinwollten und so weiter. „Und dann gebe ich Ihnen mal einen guten Rat“, lässt er sich ganz einfühlsam herab, „wenn Sie wirklich in der Kirche aktiv sind, dann tun Sie doch etwas gegen die Residenzpflicht, schreiben Sie mit vielen Unterschriften an die richtigen PolitikerInnen, das wirkt, glauben Sie mir.“ Sprach es und ging von der Bühne ab. Als wir dann wieder zu unserem Bahnsteig zurückgingen, schickte der Menschenfreund uns noch einen Zivilen hinterher, der erst wieder abzog, als sowohl die Vietnamesin, als auch wir den Bahnhof verlassen hatten.

 

Und die Moral von der Geschicht´?

 

Die vom BGS: „Wir hätten sie ja ziehen lassen, aber mein Kollege, und dann haben wir einen Erlass von oben - von ganz oben -, dass wir verpflichtet sind, eine bestimmte Menschengruppe, nämlich chinesisch, nein, asiatisch - naja, die die halt so aussehen, kontrollieren sollen. Immer der gleiche Prozess: Ausweis, Residenzpapiere etc. So ein Kleinscheiß halt - mal ganz ehrlich, so `ne Kleinen würde ich gerne laufen lassen, darf ich aber nicht, ich würde mich viel lieber um die kriminellen Chinabanden kümmern, die Zigaretten verkaufen und Drogen und so `nen Scheiß! “

 

Unsere Moral: Ein echter Menschenfreund, der Typ „BGS-Bulle“ vom Berliner Hauptbahnhof, rassistisch durch und durch, und das dann auch noch auf angeblich rechts-gültiges Gesetz in unserer Demokratie und auf die von ganz oben zu schieben.

 

Da kann man halt nichts machen? Aber ja, da muss man etwas machen - nicht so einen Papierscheiß, wie der Menschenfreund uns empfohlen hat, von wegen Unterschriftenliste, mit großer Wirkung, lächerlich!

 

Wenn Ihr mal wieder so einen rassistischen Übergriff beobachtet, macht es wie wir, beobachtet die Polizei, unterstützt die Betroffenen und leistet Widerstand gegen Residenzpflicht und Menschenrechtsverletzungen. Zeit mitzubringen, das nötige Selbstbewusstsein und ein entschiedenes Auftreten ist hierbei allerdings empfehlenswert. Doch meiner Meinung nach ist der Widerstand gegen diesen Alltagsrassismus die Pflicht eines jeden Christenmenschen.

 

Verena Mosen, Sprecherin der IKvu