Kommentar von Bernd Hans Göhrig

Badischer Katholizismus - geh Du voran!

 

05.03.2008

 

Die Wahl von Robert Zollitsch zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz könnte etwas bedeuten.

 

Der Coup ist Karl Lehmann gelungen: Mit dem Robert Zollitsch präsentierte die liberalere Mehrheit in der Deutschen Bischofskonferenz ohne allzuviel Federlesens eine überraschende Alternative zum konservativen Medienliebling Reinhard Marx. Der Freiburger verlor keine Zeit und legte gleich vor: Ökumene und Zölibat und einige andere Themen, die schon Jahrzehnte in der römischen Warteschleife der Reform hängen – der neue Vorsitzende nannte die Dinge beim Namen und machte damit deutlich, daß ein differenziertes Herangehen an römische Positionen einem vorsitzenden Bischof gut ansteht. Und flugs machte das Wort die Runde: In Baden gehen die Uhren eben ein wenig anders – was je nach Couleur als Drohung oder als Hoffnungszeichen verstanden wird.

 

Tatsächlich geht so manche badische Kirchturmuhr – im Vergleich zu römisch-katholischen Zeit-Zeugen in anderen Gegenden – durchaus etwas vor. Es hat hier jedoch keinen Sinn, in geo-metaphysische Befindlichkeiten abzugleiten, wie sie Heidegger bei seinen einsamen Gängen rund um das Schwarzwälder Todtnauberg bewegt haben mögen. Die Nähe zu Frankreich, zum aufklärungsbewegten und revolutionären Frankreich natürlich, ist hier aufschlussreicher. Und dann ist es ein schöner historischer Zufall, dass sich gerade in diesem Jahr zum 180. Mal die erste Petition im badischen Landtag zur Abschaffung des Zölibats jährt: Ab 1828 fegte ein „Zölibatssturm“ durch Südwestdeutschland, der in Baden seinen Höhepunkt schließlich 1831 mit dem Kammerbeschluss erlebte, die Regierung möge die Aufhebung des „widernatürlichen“ Zölibats angehen; mehr war damals auch nicht möglich, und die Landesregierung verweigerte sich leider der Umsetzung … Was hätte daraus entstehen können.

 

Auch in der jüngsten Zeit sorgte die südwestliche Spielart des deutschen Katholizismus für Aufsehen: 1993 probten die drei Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz - Oskar Saier (Freiburg), Walter Kasper (Rottenburg-Stuttgart, heute Kurienkardinal) und Karl Lehmann (Mainz) - mit ihrem gemeinsamen Hirtenbrief zur „Pastoral mit Geschiedenen und wiederverheirateten Geschiedenen“ das Kunststück „pragmatische Lösung eines pastoralen Skandals aus bischöflicher Verantwortung“: Aus pastoralen Gründen könnten geschiedene und wiederverheiratete Katholikinnen und Katholiken vom Empfang der Eucharistie nicht ausgeschlossen werden. Joseph Ratzinger reagierte als Vorsitzender der Glaubenskongregation kompromisslos und untersagte diese Regelung. Darüber kann man noch immer nur sprachlos den Kopf schütteln.

 

Während der von der Aufklärung geprägte Liberalkatholizismus des 19. Jahrhunderts Freiheitsrechte in der Kirche noch mit Hilfe des Staates durchzusetzen versuchte, scheint sich die Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts grundlegend geändert zu haben: Aufklärung und Moderne, pluralistische Gesellschaft und Toleranz prägen auch die Bischöfe des deutschen römischen Katholizismus nachhaltig, wenn auch in den Grenzen ihres Amtes. Doch diese Grenzen sind – in verschiedene Richtungen – in Bewegung, dies umso mehr, wenn die Amtsträger in regionalen kirchlichen Traditionen stehen: Angesichts dieser Traditionsbestände überraschen die Äußerungen Robert Zollitschs nicht wirklich und machen Lust auf mehr. Ob der freundliche Herr aus Freiburg diese Erwartungen erfüllen möchte?

 

Von der Seite des verfassten „Laien“-Katholizismus hört man: Das ist doch in 3 Monaten verpufft, dann erinnert er sich selbst nicht mehr daran. Dagegen rate ich zu vorsichtigem Optimismus: Denn erstens diskutiert man in Freiburg immer wieder gern, und zweitens über pastorale Lösungen und drittens wenigstens über eine neue Synode.

 

Insofern wird viel davon abhängen, wie der neue Vorsitzende die Fallgrube des 2. Ökumenischen Kirchentages in München 2010 mit seinem Gastgeber Reinhard Marx überstehen wird – um dann in Mannheim 2012 ein liberales Erzbistum Freiburg präsentieren zu können.

 

Von den zentralen Forderungen, die der südwestdeutsche Liberalkatholizismus des 19. Jahrhunderts auf seine Fahnen geschrieben hatte, ist eine inzwischen erfüllt: Die Liturgie in der Muttersprache wurde mit dem II. Vatikanischen Konzil knapp 100 Jahre später zur Norm.  Doch die Forderung nach einer Kirchenreform mittels demokratisch gewählten und von Laien und Priestern besetzten Diözesansynoden steht noch immer ganz oben auf der kirchlichen Reformagenda – zusammen mit der Abschaffung des Zölibats. Der Pflichtzölibat jedoch ist der neuralgische Punkt in der Mitte des real existierenden römischen Systems – es spricht einiges dafür, dass es auch mit ihm fallen wird. Wer hier ansetzt, weiß, was er tut und verdient Unterstützung.