Kommentar Bernd Hans Göhrig

In den Schuhen des Fischers am rechten Rand

 

16.02.2009

 

War es Lust an der Provokation, die den deutschen Papst dazu veranlasste, am Vorabend des 50. Jahrestages der Ankündigung des II. Vatikanischen Konzils (25. Januar 1959) einen großen Schritt auf das traditionalistische Lager zuzugehen und die Konzilsverweigerer der Bruderschaft Pius X. zu rehabilitieren – vielleicht gepaart mit einer gewissen Beratungsresistenz? Überraschend ist die Entscheidung an sich nicht, und auch der Zeitpunkt entspricht dem symbolpolitischen Gesten aufgeschlossenen Benedikt durchaus. Allein die sogenannte Panne irritiert: Dass einer der vier Bischöfe ein notorischer Antisemit ist – konnte dies dem Papst und seinen Beratern verborgen geblieben sein? Waren die Reaktionen darauf nicht vorhersehbar? Gibt es im Vatikan kein Krisenmanagement für derart sich abzeichnende Fehlschüsse des Inhabers des Stuhles Petri?

 

Soviel kann man sagen: Die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe war eine bewusste Entscheidung des Papstes, gereift in einem langen Gesprächprozess. Und sie nahm die absehbaren Folgen, also die Brüskierung der jüdischen Gemeinschaften einerseits und zahlreicher Katholikinnen und Katholiken andererseits billigend in Kauf. Einem Mann, der als Präfekt der Glaubenskongregation die ideologische Nähe lateinamerikanischer Diktatoren nicht scheute, wenn es der Durchsetzung theologisch verbrämter Macht diente, der die Befreiungstheologie mit allen Mitteln bekämpfte und seinen Schreibtisch zur Waffe formte – einem solchen Mann politische Naivität zu unterstellen verbietet das Niveau der politischen Handlungsebene – der Mann wäre umgehend kaltzustellen.

 

Auch das Bild des „Betriebsunfalls“, das Weihbischof Jaschke im Phönix-Talk am späten Donnerstagabend bemühte, ist wenig hilfreich – sich vorzustellen, es wäre im vatikanischen Betriebsablauf zufällig zur Unterschrift unter ein Papier zufällig an diesem Tag gekommen und in weitgehender Unkenntnis des Inhalts und der Folgen – ein gruseliges Bild, das nur in die Forderung münden kann: Weg mit dem Mann, weg mit den Beratern, weg mit den Strukturen, die derartiges Jonglieren mit gesellschaftlichem Dynamit ermöglichen!

 

Nun ist offensichtlich, dass der Papst sich um eine strategische Schadensbegrenzung bemüht, indem er die Dinge auseinander zu halten versucht: Während er einerseits in der Generalaudienz am vergangenen Mittwoch seine untadelige Gesinnung herausstellte, indem er den Juden seine „volle und unbestreitbare Solidarität“ zusicherte und die Shoah als Mahnung für alle Menschen gegen Vergessen, Verleugnung und Verharmlosung kennzeichnete, erläuterte er andererseits vor Beginn der Audienz seine Motive für die Rücknahme der Exkommunikation: Sorge um die Einheit der Kirche, väterliches Hören auf die Bitte um Rückkehr in den Schoß der Kirche.

 

Doch was ist damit gewonnen? Das Zweite ist als isolierter Akt gesehen gar nicht zu kritisieren. Und das Erste war überflüssig, schon oft gesagt – doch der Wert solcher Worte wird doch immer an den daraus folgenden Taten zu messen sein, womit wir wieder beim Punkt wären: Die bewussten Tatsachen sind längst nicht mehr auseinander zu halten und werden von der Öffentlichkeit in die einzig richtige Reihenfolge gebracht – die Faktenlage ist zu eindeutig: Ein notorischer Antisemit und Leugner der Shoah, der zugleich exkommunizierter Bischof einer rechtsgerichteten kirchlichen Sekte ist, wird vom Papst trotz dieser widerwärtigen Haltung rehabilitiert … zugleich mit einer sektiererischen Strömung, die u.a. ein zentrales Dokument wie „Nostra aetate“ über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen des II. Vatikanums und die Absage der Kirche an die Judenmission ablehnt und eine intensive inhaltliche Verflechtung mit politischen Rechtskreisen lebt – und die Welt fragt empört: Warum dies?

 

Nun – die Weltöffentlichkeit wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass beide Sachverhalte für Benedikt XVI. in der Tat nichts miteinander zu tun haben: Seine Weihe zum Bischof durch Erzbischof Lefebvre verbindet Richard Williamson seither gemäß dem ideologischen Konstrukt der apostolischen Sukzession mit allen Geweihten der heiligen römischen Kirche und verleiht ihm eine einmalige Würde – daran ändert auch sein widerwärtiger Antisemitismus in den Augen Roms nicht das Geringste. Er ist Bischof und wird Bischof bleiben.

 

Zugleich steht das freundliche Eingehen auf Forderungen aus dem traditionalistischen Lager durchaus auf der Agenda dieses Pontifikates – dazu gehört die Freigabe der tridentinischen Messe in 2007 ebenso wie die Reformulierung der sogenannten Karfreitagsbitte im vergangenen Jahr, dass Gott die Herzen der Juden "erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Erlöser aller Menschen", was faktisch die Wiederaufnahme der sogenannten Judenmission bedeutete.

 

Doch es geht hier nicht um rein innerkirchliche Friktionen: Das politische Signal, das von der Aufhebung der Exkommunikationen ausgeht, ist eindeutig, es richtet sich an katholische Menschen mit einer rechtsextremistischen Haltung, die etwa in Frankreich – dem Stammland der Pius-Bruderschaft – in der Partei Le Pens ihre politische Heimat haben.

 

Soll Antisemitismus also in der römischen Kirche nun offiziell wieder hoffähig werden? Diese Frage verschlägt einem dem Atem – daher die scharfen Reaktionen der jüdischen Gemeinschaften. Daher die Rede davon, die mühsame Arbeit von Jahrzehnten im jüdisch-christlichen Dialog sei auf den Stand der 50er Jahre zurückgeworfen. Daher auch der direkte Vergleich mit dem Vorgänger Johannes Paul II. – mit dem polnischen Papst, der selbst im Widerstand gegen die deutschen Besatzer seines Heimatlandes aktiv war, der Juden vor der Vernichtung in den Gaskammern rettete und der während seines Pontifikates intensiv den Dialog mit dem Judentum vorantrieb.

 

Was kann man diesem Papst noch glauben?