Kommentar von Bernd Hans Göhring

„… ist Militärseelsorge wichtiger denn je.“

 

22.09.2009

 

Bei der Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr assistieren die „Militärbischöfe“

Zum Ende der Andacht beteten die Militärbischöfe den Psalm 40 
sowie Fürbitten und gemeinsam mit den Festgästen das "Vater unser".

Quelle: www.militaerseelsorge.bundeswehr.de

 

Man kann in der Frage der Verwendung religiöser Texte zu offiziellen Anlässen durchaus unterschiedlicher Ansicht sein. Oft enthüllen sie unverhofft, was eigentlich nicht zur Sprache kommen sollte. Die Einweihung des militärischen Ehrenmals der Bundeswehr am 8. September 2009 im sogenannten Bendlerblock ist ein solcher offizieller Anlass – und noch mehr: Vor dem Hintergrund der Geschichte militärischer Male in Deutschland – seien sie Gedenken, Mahnen oder nebulös der „Ehre“ gewidmet – erzeugt die feierliche Einweihung eines solchen Ortes eine symbolpolitisch aufgeheizte Atmosphäre, in der jede Geste, jedes Wort schwerer wiegt als sonst.

 

Was soll in diesem Kontext also der 40. Psalm – gebetet von Militärbischöfen und „Festgästen“? Vibriert nicht jeder Vers vor Doppelsinn? Wer spricht hier: Ist es der Bundeswehrsoldat oder der Talibankämpfer oder die Bäuerin des Dorfes? „Da neigte er sich mir zu und hörte mein Schreien.“ (2) „Gerechtigkeit verkünde ich in großer Gemeinde, meine Lippen verschließe ich nicht; Herr, du weißt es.“ (10) „Denn Leiden ohne Zahl umfangen mich (…) der Mut hat mich ganz verlassen.“ (13) „In Schmach und Schande sollen alle fallen, die mir nach dem Leben trachten. Zurückweichen sollen sie und vor Scham erröten, die sich über mein Unglück freuen.“ (15)

 

Krieg ist immer eine Schweinerei und die Einweihung eines militärischen Ehrenmals ist immer ein scheinheiliger Akt – in einer demokratischen Gesellschaft ein Skandal und die Beteiligung von Vertretern der christlichen Kirchen eine Schande.

 

Während die Vermittlung der Notwendigkeit eines Kriegseinsatzes in einer nichtdemokratischen Gesellschaft in der Regel eine Frage der geschickten propagandistischen Motivierung von Öffentlichkeit darstellt, birgt die demokratische Gesellschaft der Bundesrepublik mit ihrer kriegsbelasteten Vergangenheit ein besonderes Vermittlungsproblem: Es zeigt sich einerseits in der Scheu der politischen Führung – sogar gegen Protest aus Kreisen der Bundeswehr – tatsächlich von „Krieg“ zu sprechen. Andererseits ist ein breites Desinteresse der Öffentlichkeit an den Kriegseinsätzen der Bundeswehr zu beobachten.

 

Wie ist diese weitgehende Teilnahmslosigkeit zu erklären? Sind es die durchaus noch familiär präsenten Kriegserfahrungen von Trauer, Vertreibung und Traumatisierung, die bis in die Enkelgeneration nachwirken können? Ist es die Erkenntnis, dass Militär und Krieg in der Geschichte Deutschlands immer mit Unrecht, Grausamkeit und Brutalität verknüpft waren – anders als in Ländern, die wenigstens auch auf eine Tradition von „Freiheitskrieg“ zurückblicken können? Oder könnte es daran liegen, dass in vielen Städten und Dörfern, vor Kirchen und auf zentralen Plätzen, ein sogenanntes „Ehrenmal“ steht, das täglich – beim Einkauf, Abendspaziergang oder auf dem Weg zur Kirche – an die Kriege von 1870/71, 1914-1918 und 1939-1945 erinnert und das längst von einem Ehrenmal zu einem Mahnmal geworden ist? Kann es sein, dass eine gesellschaftliche Feinfühligkeit – ausgebildet durch die Verschränkung von historischen und familienbiographischen Erfahrungen – sich nicht über diese Tatsache hinwegbetrügen will: Junge Menschen werden am Anfang ihres Lebens in einen Krieg geschickt – und sie können die Folgen ihres militärischen Einsatzes gar nicht ermessen!

 

Doch was nun, wenn der Ernstfall eintritt? Der Ernstfall, das ist der Tod und das Töten – das Morden, wie Kurt Tucholsky sagte. Der Ernstfall ist jedoch auch die bewusst in Kauf genommene Traumatisierung von jungen Menschen, neben der physischen die psychische Verletzung, Trauer und gesellschaftliche Belastungen. Der Ernstfall ist auch eine sittliche Verrohung, die dieses „Handwerk“ mit sich bringt – mit sich bringen muss, denn wenig Menschen bringen die Kaltblütigkeit, die für diese Aufgabe nötige emotionslose Einsatzfähigkeit mit, ohne die Krieg nicht auszuführen ist:

 

Jede Gesellschaft, die Krieg professionell betreiben will, nimmt in Kauf, einen gewissen Prozentsatz ihrer jungen Bevölkerung und deren Angehörige zu vergewaltigen und ihr Lebensglück aufs Spiel zu setzen – vielleicht geht es ja gut; doch Krieg ist kein Spiel. Eine demokratische Gesellschaft, die Krieg professionell betreiben will, nimmt in Kauf, einen gewissen Prozentsatz ihrer jungen Bevölkerung antidemokratisch zuzurichten. Mit welchen Folgen? Es genügen Seitenblicke in ältere Demokratien wie England, Frankreich und die USA: Krieg ist kein Mittel, um gesellschaftlichen Fortschritt in Richtung auf ein humaneres Zusammenleben zu fördern. Krieg tötet – in jeglicher Hinsicht.

 

Auf diese Phänomene – die Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen, die Distanz der Öffentlichkeit zu den Kriegseinsätzen der Bundeswehr und die individuellen und gesellschaftlichen Folgen – hat die sogenannte „Militärseelsorge“ keine Antwort, wie sie aufgrund ihres christlichen Backgrounds her zu erwarten wäre.

 

Stattdessen lassen sich die Kirchen für den Versuch der Vermittlung des Krieges in die Bevölkerung hinein in Anspruch nehmen, denn schließlich zahlt der Staat für diese Dienstleistung: Bei öffentlichwirksamen Anlässen wie militärischen Trauerfeiern und der Einweihung eines „Ehrenmals“, im Alltag des Einsatzes und schon in der Vorbereitung, beim Trainieren des Kriegshandwerks in den Kasernen – die Präsenz von Geistlichen im Kontext Bundeswehr suggeriert eine Normalität, die moralisch in den Ernstfall hinüberleitet.

 

Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, dankte der katholischen und evangelischen Militärseelsorge  bei der Einweihung des neuen Ehrenmals und betonte:  "In der Bundeswehr von heute, die von den Anforderungen  der Einsätze geprägt wird, ist Militärseelsorge wichtiger denn je". Quelle: www.militaerseelsorge.bundeswehr.de