Nach der Synode ist vor der Synode
Eine Stellungnahme zum Schlussdokument der Bischofssynode
vom 24. Oktober 2015
von Hermann Häring, 5. November 2015
Bei Synodenbeginn hatte die Spannung ihren Höhepunkt schon überschritten, bereits im Vorfeld des Geschehens hatten auch reformwillige Bischöfe und Kuriale zu nachdrücklich vor „übertriebenen Erwartungen“ gewarnt. Sie ahnten und hatten sich schon damit abgefunden, dass sich die Blockade der Reaktionäre durchsetzen würde. Denn diese konnten sich auf Argumente berufen, die auch die Liberalen nicht offen angreifen würden: auf die Tradition und das Lehramt, was auch immer man darunter versteht. Diese Linie wurde von den Kardinälen Müller, Burke, Sarah, Bell, Brandmüller und anderen hochgestellten Hardlinern notfalls mit unfairen Methoden und unter der Gürtellinie vertreten. Frauen waren ohnehin nicht gefragt. „Mineralwasser statt Prosecco“ konnte Ute Eberl in Reaktion auf die Bischofssynode 2014 noch formulieren. Jetzt, nach einem Jahr, ist auch der letzte Rest an Überdruck und Kohlensäure hinausgespült. Wohlgemeint und sicher gut komponiert, aber belehrend, bevormundend und auf lange Strecken langweilig rinnen die Wasser der Weisheit dahin. Das Papier beginnt in Nr. 1 buchstäblich bei Adam und Eva und legt in der Schlussnummer 94 seinen Inhalt demütig nicht dem Gottesvolk, sondern dem Heiligen Vater unter Anrufung von Jesus, Maria und Josef in die Hände.
Diffuse Töne
Was ist auf der Synode geschehen? Im Grunde nichts, das ist ja das Problem. Zwar ist das Schlussdokument auf weite Strecken hin in einem menschenfreundlichen und offenen Ton geschrieben. Der Leitgedanke der Barmherzigkeit hat eine starke, wenn auch widersprüchliche Wirkung erzielt. Man will nicht mehr hinter einer jeden Unregelmäßigkeit Sünde oder all das verurteilen, was außerhalb der Ehe geschieht. Dies ist ein beachtlicher Erfolg des Papstes und seines Ideengebers Kardinal Kasper. Geholfen hat die Idee von Kardinal Schönborn, der unter Verweis auf den Wojty?a-Papst schon früh von Gradualität sprach [vgl. 37, 51, 58, 86] und damit meinte, es gehe in sexuellen Angelegenheiten nicht um Schwarz oder Weiß, Todsünde oder Tugend, sondern immer um Entwicklungen, Stufen und dynamische Prozesse [37]. Wir wachsen in gegenseitige Beziehungen [4, 5, 8, 21, 25, 27, 28, 20, 36, 39, 48, 49, 50, 65,69, 89] und Verantwortungen hinein, die nach offiziell katholischer Vorstellung allerdings in einer christlich-sakramentalen Ehe münden sollten [29, 36, 37,38,47,50, 51, 52, 54, 60, 67, 69, 71, 89]. So werden vor-, außer- und zivileheliche Beziehungen wenigstens indirekt geduldet, wenn auch zu Vorstufen zur christlichen Ehe relativiert.
Leider erweckt die Synode den irrigen Eindruck, die gnädige Mutter Kirche [84] mildere die in sich unbarmherzige Eheordnung Christi für solche ab, die vom guten Weg abgewichen sind und eben doch gesündigt haben. In Wahrheit versucht sie nur, die massive Unbarmherzigkeit des kirchlichen Eherechts abzumildern, denn die offizielle Ehelehre der katholischen Kirche ist ihr eigenes, kein jesuanisches Produkt. So hat man das Prinzip der Barmherzigkeit doch nur zum altbekanten Prinzip umgebogen, man wolle den Sünder lieben, die Sünde aber hassen. Welche Sünde denn? So klar wird auch diese Frage nicht mehr beantwortet. Dieses Dokument sendet in die Reihen der Reformgesinnten und der Konservativen gleichermaßen diffuse Töne aus. Deshalb ist es nur konsequent, wenn die Synode zum Schluss es dem Papst überlässt, Nägel mit Köpfen zu machen. Für die Selbständigen und Selbstbewussten in katholischen Kreisen steckt in solcher Klarheit auch Hoffnung. Sie werden umso entschiedener ihre eigenen verantwortbaren Wege gehen, während die Unselbständigen und Ängstlichen in Ungewissheit und Unabhängigkeit gehalten werden.
Verkrustete Theologie
Haben sich die Synodenväter an die Prinzipien einer zeitgemäßen Theologie und Glaubensvermittlung gehalten? Nein, und für diese schwerwiegende Behauptung sprechen mehrere Gründe. Das Dokument
(1) … lässt sich auf keine seriös professionelle Schriftauslegung ein. Undifferenzierte Informationen zu den Jesusworten werden mit der metaphorischen Überhöhung biblischer Geschichten kombiniert. Schließlich hat Jesus kein Kirchenrecht verfasst, sondern ein hohes Ideal zur Geltung gebracht. Matthäus führt in das Ehescheidungsverbot zweimal die sogenannte Unzuchtsklausel ein (Mt 5,32; 19,9), und Paulus hält bei unüberbrückbaren weltanschaulichen Schwierigkeiten eine Scheidung mit dem durchaus nachvollziehbaren Argument für möglich: „Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht wie ein Sklave gebunden; zu einem Leben in Frieden hat euch Gott berufen.“ (1 Kor 7,15) Wider besseres Wissen spricht selbst Kardinal Kasper undifferenziert von einer unauflöslichen Ehe und stellt seinen Lockerungsvorschlägen selbst ein Bein. Solche Stellen einfach zu verschweigen, grenzt an einen Skandal.
(2) … nimmt die differenzierte Geschichte der katholischen Ehelehre und des Sakramentsbegriffs nicht zur Kenntnis. Nirgendwo wird genauer erklärt, was mit „Sakrament“, mit „Ehesakrament“ und mit „Unauflöslichkeit“ wirklich gemeint ist. Als hätte man noch nie etwas von der komplizierten Geschichte der Sakramente, von Haupt- und Nebensakramenten oder von der modern-katholischen Auswucherung des Begriffs in Wurzel- und Grundsakrament, in sakramentale Verfassung und Strukturen gehört. Im Erbe der beiden Vorgängerpäpste wird – an der Grenze der Magie – einseitig sakramentalistisch gedacht, als hätte man noch nie von Martin Luthers Einwürfen gegen eine selbstherrlich verkirchlichte Sakramentspraxis gehört. Vergleichbares gilt für die Unauflöslichkeit der Ehe. Man will nicht wissen, dass das Konzil von Trient die orthodoxe Praxis der Wiederverheiratung gerade nicht verurteilt hat.
(3) … geht unsachgemäß, geradezu amateuristisch mit dem Begriff der Sexualität um. Gelegentlich tauchen zwar Begriffe wie Beziehung, Verantwortung, Prozess und Entwicklung auf, aber sie haben auf die leitende Gedankenführung keine Wirkung, bleiben ihr äußerlich. Im Kern der Aussagen, vor allem im systematisch-theoretischen Teil II bleibt der vormoderne Biologismus der klassischen Ehelehre prägend. Das zeigt sich an der anzutreffenden, im Grunde peinlichen und frauenfeindlichen Beschreibung der „Gender-Ideologie“ und an deren gedankenlos globalen Verurteilung. Diese „Ideologie“ könnte ja der Ablehnung der Frauenordination ihre Begründungen entziehen. So versteht sich auch, warum die Synode einem sinnvollen Umgang mit der Schlüsselfrage der Homosexualität einfach ausgewichen ist, die Betroffenen also im Regen stehen lässt. Zur Vorbereitung ihrer Arbeit hat sich die Synode um keine wissenschaftliche Aufarbeitung der einschlägigen Sachgebiete bemüht. Dazu hätte man seriös theologische Literatur und zahlreiche gesprächswillige Fachleute finden können. Stattdessen kamen die Synodenväter einfach zusammen, um sich auf die Eingebung des Heiligen Geistes zu verlassen. Diese Fehlleistung ist unentschuldbar und bildet den Kern und den Tiefpunkt der Versäumnisse.
Die genannten Mängel erklären sich aus einem einfachen Grund. Die Synodenmitglieder fallen auf die antiprotestantische Formel „Schrift und Tradition“ zurück, in der vergangene kirchliche Überzeugungen und Regelungen zum (meist unfehlbaren) Maßstab der Schrift werden, statt endlich die Schrift als kritischen Leitfaden auch aller Tradition anzuerkennen. Das zeugt schlicht von einer schlechten, autoritär untertänigen Theologie. Wieder einmal legte sich die Unfehlbarkeitstheorie von 1870 wie ein lähmender Mehltau über alle Erneuerungsversuche, auch über das Gebot der Barmherzigkeit. Wieder einmal blockierte die katholische Amtskirche sich selbst.
Bei solchem zu Korrekturen unfähigen Traditionalismus war man nicht bereit, den prekären Gedanken des Ehesakraments wenigstens zu differenzieren oder das wunderbare Ideal eines bedingungslos verbindlichen Eheversprechens von seiner gnadenlosen Verrechtlichung zu befreien. Man fragt sich wirklich, wo auf diesem Treffen die Theologen geblieben sind. Die zahlreichen biblischen Metaphern der Liebe Christi zur Menschheit und des nahenden Gottesreichs werden willkürlich aufgebläht und bleiben in schillerndem Licht [36, 38-41]. Weitere theologische Aspekte dienen der unverbindlichen Glättung. Auch wollte niemand darüber nachdenken, was Sexualität in der Gegenwart bedeutet. Offensichtlich war man nicht darüber erschrocken, dass sich bei engagierten Kirchenmitgliedern gemäß der letztjährigen Umfrage Sexualverhalten und Sexualmoral in zahlreichen Ländern dramatisch und nahezu weltweit verändert haben. Wer so intensiv und selbstgerecht auf das Wirken des Heiligen Geistes bei den eigenen Beratungen pocht, müsste eigentlich voraussetzen, dass Gottes Geist auch in den Gemeinden der Getauften klar und zielsicher wirkt. Nimmt man ihren Glaubenssinn fünfzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanum immer noch nicht ernst?
Halb voll? – Ziemlich leer!
So bleibt das Dokument auf weite Strecken hin in den alten Positionen stecken. An Humanae vitae von Paul VI. (1968) wird zwar halbherzig, aber ausführlich festgehalten [43] und die Ehelehre des frühen Johannes Paul II. in Familiaris consortio (1981) erneut beschworen und ausführlich zitiert [44; 85]. Zu klaren Regelungen für eine Zulassung von Wiederverheirateten ringt sich die Synode nicht durch. Die einschlägigen Passagen [84-86] sind höchst zwiespältig und lassen sich nach dem Prinzip des halb vollen und des halb leeren Glases lesen. Einerseits sprechen sie von einer „Logik der Integration“. Die Betroffenen sollen als „lebendige Glieder der Kirche leben und reifen“ können. Die Mutter Kirche kümmere sich um sie voller Zuneigung. Schon Johannes Paul II. habe gefordert, unterschiedliche Situationen wohl zu unterscheiden. Aufgestellt wird ein plausibler Kriterienkatalog zum Umgang mit den Kindern, zum Maß der eigenen Schuld und zu Versöhnungsversuchen, zur Situation des verlassenen Partners und zur Auswirkung der neuen Partnerschaft. Im Forum des eigenen Gewissens und im Gespräch mit „dem Priester“ könne über die „vollere Teilnahme“ am Leben der Kirche entschieden werden.
Das Glas wird also gefüllt. Wirklich? Genau besehen bleibt es ziemlich leer. Diese Erklärungen bleiben merkwürdig abstrakt. Denn die geltende Regel, auch solche Überlegungen könnten eine Zulassung zu den Sakramenten nie und nimmer ermöglichen, wird gerade nicht widerrufen; vieles wird unkommentiert wiederholt. Dort, wo am Ende der Nummer [86] betroffene Leserinnen und Leser das erlösende Wort von einer Zulassung erwarten, wird in verschlüsselten Worten wiederum die Bremse gezogen. Bischöfe, die möchten, können ihr altes Regime fortsetzen, denn alle diese Unterscheidungen können niemals von der vermeintlichen Wahrheit des Evangeliums absehen. Als hätte man die anstehende Frage vergessen, fordert der Text in hehr klingenden Worten von den Gläubigen mal wieder „Demut, Diskretion, Liebe zur Kirche und ihrer Lehre“ [86]. Eine schlimmere Unterlassung hätte nicht passieren können. Sie zeugt aber vom Unvermögen dieser Gemeinschaft von Zölibatären, das Wesen der Sexualität auch nur im Ansatz zu begreifen und sich ihr zu stellen.
Unter diesem Barmherzigkeitsregime werden die Wiederverheirateten neben den Homosexuellen im Schoß dieser Kirche vollends verdursten, es sei denn, die Gemeinden setzen ihre jesuanische Linie fort und entschließen sich kraft eigener Glaubensüberzeugung zu einer humanen Praxis. Wer sich mit diesem Synodenbeschluss identifiziert, muss sich auch damit abfinden, dass er das groß angekündigte Barmherzigkeitsprogramm einer Unglaubwürdigkeit preisgibt, weil es an seinen eigenen Widersprüchen scheitert. Man kann das an der prekären Situation von Kardinal Kasper ablesen, der eine Wiederzulassung fordert und (wider besseres exegetisches Wissen) eine katholisch geschlossene Ehe zugleich als unauflöslich definiert. Verehrer der deutschen Theologie, die im deutschen Sprachzirkel vertreten waren, erklären solche Passagen zum Höhepunkt der theologischen Synodenleistung. Sie übersehen, dass Betroffene in einer so präzise austarierten Wortakrobatik nur ein groß angelegtes Versteckspiel erkennen können.
Ursachenbeschreibung ohne Folgen
Was ist vom Schlussdokument, von der Struktur und Gesamtlinie des Dokuments zu halten? Es steht, wie zu erwarten war, unter dem plausiblen Dreischritt von „Sehen-Urteilen-Handeln“. Teil I zu Situationen und Kontexten der Ehe auf der ganzen Welt bietet ein sehr reiches Spektrum von kulturellen, sozioökonomischen Aspekten, zu den einzelnen Personen, die zum Beziehungskreis von Familien gehören, sowie zu Fragen, die Familienmitglieder emotional berühren [5-29]. Der Reichtum der Aspekte ist beeindruckend. Mit großer Empathie geht er ein auf kulturelle Konflikte und Spannungen, auf destruktive soziale Notlagen, auf die oft schwierige Situation von Alten und Bedürftigen, Migranten und Verfolgten, auf Kinder, Frauen, Männer und Jugendliche. Ob die Darstellungen bisweilen durch kirchliche Verlust- und Weltängste getrübt wird, sei hier nicht entschieden. Unzweideutig ist die Kraft, mit der das Dokument die Kirchen vor Ort dazu aufruft, sich in bedrohlichen und prekären Situationen zu engagieren, welcher Art auch immer sie sein mögen.
Umso schärfer wirkt der Kontrast zu Teil II. Er beginnt mit der Feststellung, solchermaßen bedrohte Familien hätten für ihren Weg eine sichere Orientierung und Begleitung nötig [35]. Kein Wort darüber, dass in diesen hochbrisanten, politisch zerrütteten und kulturell verunsicherten Zeiten die Amtskirche selbst vielleicht nach angemessen Antworten und Lösungen suchen muss. „Die Zeiten ändern sich und ein Christ ändert sich mit ihnen“, diese Worte des Papstes vom 23. Oktober 2015 waren auf der Synode noch nicht durchgedrungen. Nach fünf Nummern zu Trinität, Schrift und Jesu Botschaft präsentiert das Dokument, nach Päpsten geordnet, das Lehramt der vergangenen fünfzig Jahre [42-46], als wäre nichts geschehen, um dann zur christlichen Lehre und Schönheit der Familie und zu ihrer christlichen Fülle überzugehen [47-55].
Hier setzt sich, wie schon angedeutet, die mittelalterliche und antireformatorische, nicht unbedingt biblisch geprägte Lehre der Vergangenheit durch. Erstaunlicherweise gab es in Sprachgruppen und Plenarsitzungen zu diesem Teil am wenigsten Kritik, ausgenommen einem gegenüber der zivilen Ehe wohlwollenden Paragraphen [54]. Die Synodenteilnehmer waren sich der Problematik dieses Kernsystems gar nicht bewusst. Man fühlte sich im Gewohnten und Gelernten eben zu Hause, obwohl man von der Diskrepanz zu vielen Kirchenmitgliedern wusste.
Zum Handeln (Teil III) hat die Synode dann aller Mut verlassen. Gerade um die Probleme der kulturellen Pluralität zu bewältigen, hätten die Destruktion eines statischen Ehemodells, ein Blick auf die zeitgemäße Anthropologie, ein kleiner Lehrgang bei den Kirchen der Reformation und eine konsequente Neubesinnung auf die biblische Botschaft helfen können.
Synodalität und viele Kulturen
Verdient die Synode angesichts ihrer Multikulturalität Verständnis? Vermutlich hatte man die Herausforderung dieser Situation unterschätzt. Man konnte kaum erwarten, dass Bischöfe z.B. aus Indonesien, Zentralafrika, Lateinamerika und Westeuropa innerhalb von drei Wochen zu einhelligen Beschlüssen kommen. Realistisch war auch nicht die Hoffnung, dass sich die Bischöfe Indiens oder Sri Lankas mit den Verhältnissen eines säkularisierten Kulturraums anfreunden würden, so wie wir auch nicht über Nacht die Ehemodelle Nigerias mit einer von den Eltern bestimmten Verheiratung und einer Verheiratung in Stufen verstehen. „Zu dieser Kirche“, schreibt Matthias Drobinski, „gehören afrikanische Bischöfe, die es nicht schlimm finden, dass in ihrer Heimat Männer im Gefängnis landen, wenn sie einen Mann lieben. Zu ihr gehören Kirchenmänner aus Osteuropa, die Wladimir Putin verehren, weil er angeblich für Familienwerte steht.“ (SZ vom 26.10.2015)
Papst Franziskus hat dieses Problem erkannt, als er in einer Ansprache vom 17. Oktober 2015 darauf verwies, die Kirche des 3. Jahrtausends müsse synodal sein, also die Bischofskonferenzen an den zentralen Entscheidungen beteiligen. Eine solche Beteiligung setzt aber voraus, dass die Bischofskonferenzen auf dezentraler Ebene endlich eigene Entscheidungskompetenzen erhalten. Die faktische Kulturvielfalt einer Weltkirche darf nicht weiterhin verdrängt werden; die Kirchen verschiedener Länder müssen ein eigenes Gesicht offen zeigen können. Doch in vatikanischem Geist ist die bisherige theologische Ausbildung der Bischöfe auf der ganzen Welt monokratisch getrimmt. Die innere Vielfalt wirkt nicht als Reichtum, sondern noch immer als schädliche Zersplitterung. Das zeigten die unerträglichen Misstöne reaktionärer Kardinäle und Bischöfe – etwa eines vom Chef der Glaubenskongregation protegierten Kardinal Sarah –, der gegen den „intellektuellen Zynismus des Westens“ kämpft und Homosexualität beschimpfte, indem er sie mit dem Nazi-Faschismus des vergangenen Jahrhunderts verglich.
Die meisten Synodenmitglieder haben sich um eine faire Diskussionskultur bemüht, aber die Pluralität der Positionen nicht ausgehalten. Deshalb haben die Konservativen gesiegt. Schließlich versteckte sich die Synode hinter dem Papst und seiner Gesamtverantwortung in einem Augenblick, da sie zu eigenständigem Handeln ermutigt war. Damit entstand eine paradoxe Situation, die allerdings vorhersehbar war. Denn die Kirchenführer, die ihre Ämter unter den Vorgängerpäpsten einer strengen Gehorsamshaltung verdanken, konnten sich in der vorliegenden Konfliktsituation nicht zu effektiver Synodalität aufraffen. Sie hätte den Mut zu eigener Entscheidung verlangt. Diese Generation von Kirchenführern ist eben in Gehorsam erzogen und nicht im fruchtbaren Umgang mit Konflikten geschult. So vergessen sie ständig, dass sie im Dienste ihrer Teilkirchen und Kirchengemeinden stehen. Angesichts der bekannten Umfragen grenzt ihr nach oben fixierter Blick an Verrat.
Deshalb ist es nicht der Papst, der jetzt hätte liefern müssen, wie Konservative leicht drohend noch vor wenigen Wochen behaupteten. Es sind dagegen die ehe- und familienlosen Synodenväter, die vor ihrer neuen Herausforderung versagten. Dies gilt auch für die deutschsprachigen Bischöfe. Ihre Stellungnahmen waren zwar blendend formuliert [vgl. 84-86], doch in ihrer Abstraktheit verkleisterten sie die Konflikte, die man hätte austragen müssen. Einheit ist kein Eigenwert an sich. Mit der hilflosen Behauptung, in ihrer Komplexität bedürften die anstehenden Fragen noch einiger Klärungen, um sie „im Licht des Evangeliums, der Lehre der Kirche und mit der Gabe der Unterscheidung weiter zu vertiefen“ (so die deutschsprachige relatio zur dritten Woche). Mit dieser Ausrede ließen die bisherigen Vorkämpfer einer Erneuerung – gewiss unter dem Druck von Kardinal Müller und seiner Genossen – diejenigen im Stich, die auf eine hilfreiche Entscheidung angewiesen wären. Man hätte genügend Zeit gehabt, um die komplexen Fragen zu analysieren oder es auf einen offenen Dissens ankommen zu lassen. Dieser hätte wenigstens klärend gewirkt und den Gemeinden Alternativen für ihre eigene Entscheidung geboten. Jetzt hat man der Pression zu einer formelhaften Einmütigkeit nachgegeben und sogar zugestanden, dass eine Bitte um Vergebung für eine sexualfeindliche Vergangenheit von der Mehrheit abgeschmettert wurde.
Es ist eine Einmütigkeit, die mehr der Selbstdarstellung der Synode als einem erkannten Konsens dient. Auch neigt mancher Synodenbischof nach vollbrachter Tat zum Selbstlob und zum Versuch, die Versammlung als Ereignis mit großem Selbstwert, als privilegierten Ort des Lernens und gegenseitigen Kennenlernens zu preisen. Mag sein, dass die Bischöfe jetzt einiges dazugelernt haben. Doch was sie schon lange wissen müssten, interessiert die Betroffenen weniger. Kein Politiker würde vor seinem Publikum bestehen, wenn er nur zu erzählen wüsste, wie toll seine Erfahrung auf einer Tagung des UNO-Sicherheitsrats war. Doch mit guten Gründen beurteilt das Kirchenvolk die Kirchenführer nach konkreten Ergebnissen, nicht nach einer Diskussionskultur, die vorhanden sein müsste. Gemeinden lieben aufrichtige und selbstkritische Eliten. Ihr Versagen bleibt immer im Gedächtnis.
Hoffnung beim Papst
Jetzt liegt die Hoffnung bei Papst Franziskus, an den alle Entscheidungen delegiert sind. Darin liegen Hoffnung und Enttäuschung zugleich. Die Hoffnung ruht auf dem „postsynodalen Schreiben“, das einer Bischofssynode regelmäßig folgt; möge er im Sinne des Kirchenvolkes entscheiden. Die Enttäuschung liegt darin, dass diese Bischofsversammlung, die als bloßes Beratungsorgan zu Unrecht den Ehrentitel einer Synode trägt, bei diesem Modellversuch einer synodal agierenden Kirchengemeinschaft gescheitert ist. Sie hat sich weder authentisch mit der Botschaft Jesu auseinandergesetzt, noch die Wahrheit Jesu in eine neue Zeit fortgeschrieben. Vor allem hat sie nicht verstanden, welche Chance sie für die kirchliche Erneuerung am Beginn dieses Jahrtausends versäumt hat. Wie polarisierend das Schlussdokument schon jetzt wirkt, zeigen beispielhaft zwei erste Reaktionen: Kardinal Kasper erklärte: Die Bischofssynode „öffnete sozusagen die Tür für die Zulassung in Einzelfällen der wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten; sie durchschreitet diese Tür jedoch nicht“. Warum nicht, kann man da nur zurückfragen, und mit welchem Recht meint er, die Synode habe die Kirche bereits verändert? Er verwechselt wohl eine isolierte Mini-Elite von 270 Prälaten mit der Gemeinschaft von Milliarden. Ganz anders erklärte der hochkonservative aus-tralische Kardinal Pell, nach wie vor könnten wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion nicht empfangen. An Lehre und Disziplin der Kirche hat die Synode nichts geändert. Nur ein schlechter Kompromiss kann so widersprüchlich ausgelegt werden. Man kann man sich also dessen gewiss sein: Nach einem gescheiterten Erstversuch steht die katholisch-christliche Frage nach Ehe und Familie, diesem kostbaren „weltlich Ding“, erst am Anfang. Nach der Synode ist vor der Synode. Die Diskussion hat jetzt erst begonnen.
Wir hoffen, dass Papst Franziskus das Gebot der Stunde erkennt und jetzt angemessen handelt. Er muss dabei wissen: Unzählbare Mitglieder der katholischen Kirche sind in den verschiedensten Ländern schon lange ihren eigenen Weg gegangen. Die Gemeinden bitten ihn um nichts, sondern fordern endlich Lösungen ein, die in unserer Gegenwart verantwortbar sind. Unabhängig davon werden sie im Wissen um die Botschaft Jesu und um die Stimme ihres eigenen Gewissens ihren eigenen Weg umso entschlossener gehen.