Óscar Romero – presente!

Ein Wort unter Christen zum Gedenktag des salvadorianischen Märtyrerbischofs am 24. März (Gründonnerstag 2016)


Peter Bürger

Vor zweitausend Jahren wurde Jesus von Nazareth an ein Kreuz der römischen Besatzungsmacht geschlagen. Seine Kunde von einem Reich des rein geschenkten Lebens stürzt die unheilige Dreieinigkeit „Mammon – Macht – Krieg“ noch immer vom Thron. Die Herrschenden haben keineswegs Angst vor bloßen Empörern, sondern nur vor jenen, die gegenüber den Versprechen von Geldvermehrung, Machtausübung und Gewalt immun sind. Sie haben Angst vor den Geliebten, vor dem Mann aus Galiläa und auch vor dem salvadorianischen Bischof Óscar Romero (1917-1980), einem seiner entschiedenen Jünger. Wer sich nicht verstricken lässt in die Strukturen des Ungeliebtseins und sich nicht einkaufen lässt von den Agenten des Todes, wird ermordet.
Die Blutzeugen und Propheten, die dem Rad in die Speichen fallen, kommen ungelegen. Wir basteln uns die christliche Existenz lieber so zurecht, dass es zu einer ernsteren Konfliktsituation erst gar nicht kommen kann. Sehr löblich ist es, Opferanbetung, Blutkulte und Leidenssehnsucht zu entlarven. Doch danach dringen die Glücklich-Preisungen der Bergpredigt umso vernehmlicher ans Ohr: „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden ... nicht, weil sie leiden, sondern weil sie lieben.“ (P. Jacob, Chile)

Óscar Romero verfügte bei seinem Amtsantritt als Erzbischof von San Salvador über keine mutige Prophetenstimme und hat sich sein Martyrium nicht selbst ausgesucht: Am 12. März 1977 wird der Jesuit und Armenpriester Rutilio Grande mit zwei Begleitern ermordet. Während der nächtlichen Totenwache für diesen Freund und die beiden anderen Opfer beginnt eine Wandlung Romeros zum entschiedenen Bischof der Armen und Kritiker des herrschenden Systems: „Die Zeiten sind vorbei, meine Schwestern und Brüder, wo man sagte, das sei der Wille Gottes. Viele Dinge, die geschehen, sind nicht der Wille Gottes.“ Noch in seiner Amtszeit werden hunderte engagierte Gläubige und fünf weitere Priester ermordet!
Im Jahr darauf erhält Romero wegen seines Einsatzes für Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung den Ehrendoktor der Georgetown-University in den USA, wo er in Kreisen der ökumenischen Bewegung großes Ansehen genießt. Es folgen weitere Ehrungen aus dem Ausland. Der Erzbischof ist weltweit als Prophet der Armen sehr bekannt. Hohe Würdenträger einer „Kirche“ der Macht und der Privilegien überlegen deshalb, wie man ihn auf ein Abstellgleis schieben könnte. Die Bischöfe Lateinamerikas bekräftigen jedoch 1979 in Puebla (Mexiko) ihre „vorrangige Option für die Armen (bzw. Option wegen der Armen)“.
Am 17. Februar 1980 schreibt Romero einen Brief an US-Präsident Jimmy Carter mit der Bitte, dass die USA keine weiteren Waffen an die Junta der Reichen in El Salvador liefern. Am 23. März 1980 ruft er wenig später in seiner Sonntagspredigt die Soldaten und andere „Sicherheitskräfte“ auf, Befehle zum Töten und Foltern zu verweigern: „Ich bitte euch, flehe euch an, befehle euch: Hört auf mit der Unterdrückung!“

Am Folgetag predigt Óscar Romero in einer Abendmesse: „Es ist zwecklos, nur sich selbst zu lieben und sich vor den Gefahren des Lebens zu hüten.“ Am Altar trifft ihn die tödliche Kugel aus dem Gewehr eines Auftragskillers. Beim Militär und in Kreisen der Oberschicht wird mit Champagner auf die gelungene Mordattacke angestoßen. Die Armen Lateinamerikas aber sprechen den Bischof sofort heilig – ohne ein kostenpflichtiges Amtsverfahren.

In diesem Jahr fallen Todestag und weltkirchlicher Gedenktag Romeros auf den Gründonnerstag. Bei uns fördern einige gut abgesicherte und im Neoliberalismus sozialisierte Christenmenschen die Ansicht, das Geschick Romeros und der lateinamerikanischen Kirche der ungezählten Märtyrer sei ein Drama vergangener Zeiten. Man spekuliert lieber über eine überzeitliche Dramatik des Kreuzes, in der sich irgendwelche mysteriösen Absichten Gottes andeuten und die mit der leibhaftigen Welt wenig zu tun hat:

„Solange die Kirche jenseitige Erlösung verkündet, ohne selbst in die realen Probleme dieser Welt einzutauchen, wird sie geachtet und gepriesen und sogar mit Privilegien überschüttet. Wenn sie aber ihrer Sendung treu ist […], wenn sie die Hoffnung auf eine gerechtere und menschlichere Welt verkündet, dann wird sie verfolgt und verleumdet, wird subversiv und kommunistisch genannt.“
Óscar Romero

Die Verteilung des Reichtums auf der Erde, auf der wir leben, ist in globalem Maßstab heute so skandalös wie zu Romeros Zeit im kleinen Land El Salvador. (Der Bischof bedachte übrigens mit Sorgfalt entsprechende Statistiken.) Eine winzige Minderheit auf dem Globus verfügt über so viel Vermögen wie die Hälfte der ganzen Weltbevölkerung. Die von Militärapparatur und politischen Machtsystemen flankierte Geldvermehrungsmaschine lässt nicht nur Jahr für Jahr 20 Millionen Hungertote am Wegrand liegen, sondern schickt sich auch an, die Lebensgrundlagen der nach uns kommenden Generationen zu zerstören.
Mancher mag vielleicht meinen, die recht willkürlich ausgewählten, immer gleichen Konfliktschauplätze der Abendnachrichten würden uns schon die „Welt“ zeigen, wie sie ist. Doch wir wissen hierzulande wenig von der Welt, wie sie wirklich ist, und noch weniger von der Rolle, die unser Land als mächtige Volkswirtschaft im Weltgefüge einnimmt. Das Drama der Verelendeten dieser Erde ist so real wie nur irgendetwas. Real ist auch der schichtenübergreifende Verdummungsprozess unter den Bedingungen einer grundfalschen, aggressiven Form von „Globalisierung“ ohne Solidarität, bei der die Menschheit als Ganzes nur verlieren kann:

„Wie viel ist nötig, damit Menschen von heute, die ihr Kapital dem Menschen vorziehen, merken, dass der Mensch mehr wert ist als alle Millionen der Erde?“
Óscar Romero


Um Befreiungsprozesse auf dem Erdkreis, eine Ermutigung der Armen und die Überwindung todbringender Mächte werden ernsthafte Christen allüberall ringen – heute drängender noch als im Jahr 1980. Das steht der Heilung unserer zerbrochenen, leeren Herzen mitnichten entgegen, sondern inspiriert auch in unserem eigenen Leben zum Auszug aus dem Imperium der Traurigkeit. Nostalgische Folklore – das ist hingegen Sache der stark ausgedünnten Bürgerkirche, die noch nicht verstehen will, dass der unbequeme Märtyrer aus El Salvador ein Wegweiser des 21. Jahrhunderts ist:  Óscar Romero – presente!