Falscher Umgang, keine Lösung
Ansichten zu den Auseinandersetzungen um ein Gutachten über sexualisierte Gewalt im Erzbistums Köln
Kommentar von Sebastian Dittrich
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»Und wird der Dom ein Pferdestall,
Was sollen wir dann beginnen
Mit den Heil'gen Drei Kön'gen, die da ruhn
Im Tabernakel da drinnen?«
So höre ich fragen. Doch brauchen wir uns
In unserer Zeit zu genieren?
Die Heil'gen Drei Kön'ge aus Morgenland,
Sie können woanders logieren.
Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen (1843), Caput IV
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Seit Ende 2020 beschäftigt uns nun die Kontroverse um das Gutachten der Anwaltskanzlei Westphal-Spilker-Wastl (WSW) zu den Vorgängen sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln. Das Erzbistum verweigert eine Veröffentlichung, macht „methodische Mängel“ geltend und greift die Reputation der Auftragnehmer*innen an. Umgekehrt erschien inzwischen in „Christ und Welt“ ein Interview des beteiligten Ulrich Wastl, der seitens des Erzbistums einen „Gewaltangriff“ beklagt und so via Medien zurückschlägt, weil dem früheren Auftraggeber – jedenfalls kurzfristig – nicht juristisch beizukommen ist [1].
Vorweg gesagt: Auch ich kenne das besagte Gutachten nicht. Ich kenne auch nur jene Auszüge, die in einem Methoden-kritischen Gutachten – wiederum im Auftrag des Erzbistums Köln angefertigt – wiedergegeben sind [2]. Wie es heißt, soll WSW nun hierzu ein Gegen-Gutachten in Auftrag geben. Und schon gerät aus dem Blick, um was es eigentlich ging: Wer betroffen ist, wem eigentlich geholfen werden muss. Was wirklich passiert ist. Unter allen die sich jetzt berufen fühlen, dazu Stellung zu nehmen, fand ich nun die Spiegel-Kolumne des ehemaligen Bundesrichters Thomas Fischer [3], am interessantesten. Danach kann ich für mich festhalten:
- Das Gutachten hat methodische Mängel
- Angesichts des Veröffentlichungs-Vorbehaltes des Auftraggebers hätten die Gutachter den Betroffenen niemals das Versprechen geben dürfen, dass das Gutachten veröffentlicht würde
- Die Autoren nehmen in den ausgewählten, exemplarischen Fällen moralische und auch juristische Verurteilungen vor, die über die (beauftragte) Darstellung von Täter-Typen und Tat-begünstigenden und -vertuschenden Mechanismen hinausgehen.
Ich kann mir nicht annähernd vorstellen, wie es Betroffenen im Bistum Köln und anderswo wieder einmal gehen muss – Hoffnungen wurden geweckt und sind nun bitter enttäuscht. Das Bistum Köln sieht sich hingegen selbst als Opfer und offenbart ein eigenartiges Verständnis von Pressefreiheit: Einerseits das Angebot, das Gutachten einzusehen, aber vorher eine Vertraulichkeits-Vereinbarung zu unterschreiben [4] – andererseits der unsägliche, nur halb geklärte Goebbels-Vergleich des Weihbischofs Puff [5]. Leider alles nicht überraschend. Dabei und in dem aufziehenden Gutachter-Streit wird aber übersehen wo das Problem wirklich liegt, was der faule Keim aller kirchlichen „Aufklärung“ war und ist: Die Bistümer selbst beauftragen sie. Ein Fortschritt, nachdem sie es vorher selbst versucht haben, Aktivität vorgetäuscht oder gar nichts unternommen haben. Aber Sachstands-Klärungen wie auch Verurteilungen in Gutachten (so wohlgemeint und begründet sie sein mögen) können gerichtliche Urteile letztlich nicht ersetzen. Auch öffentliche, mediale Scherbengerichte sind am Ende immer unvollkommen. Schand-Akten gehören polizeilich ausgehoben und sichergestellt, nicht von kirchlichen Stellen in Auswahl „zur Verfügung gestellt“ oder gar vorher bearbeitet.
Wie ich es sehe, wurde bis heute nicht ein Diözesan-Archiv durchsucht, und nicht einer der (mutmaßlich) mitwissenden, vertuschenden oder gar beihelfenden Bischöfe und Mitarbeiter*innen ernsthaft vernommen oder vor ein (weltliches) Gericht gestellt. Viele sind nicht mehr im Amt oder sogar verstorben. Wie auch etliche Gewalt-Täter. Diese eigentlichen Täter hatten aber nicht nur Mitwisser und Beihelfer*innen unter ihren Amtsbrüdern und Vorgesetzten, sondern auch Helfer*innen in staatlichen Stellen, die schlicht die Arbeit verweigert haben. Und das bis heute tun. Manche mögen sich noch an das „Krisenjahr“ 2010 erinnern, als vornehmlich Bundes-Familienministerin Kristina Schröder und Bundes-Forschungsministerin Annette Schavan ihre schützenden Hände über die römisch-katholische Kirche hielten, letztlich auch die Bundeskanzlerin überzeugten und zugleich die wesentliche forschere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ausbremsten.
Sicher hat die Aufklärung Fortschritte gemacht, müssen auch die Vorgänge in Köln kein Rückschritt sein. Ich sehe hier eher eine überfällige Klärung: Der Ansatz, die Aufklärung letztlich in den Händen der Bistümer zu lassen, ist krachend gescheitert. Auch wenn es einzelne Bistümer gibt, die schon weit gegangen sind und sich auch Köln mittlerweile zaghaft bewegt ist es an der Zeit, dass sich nun alle Beteiligten ehrlich machen und deutlich bewegen:
- Unter derzeitigen Bedingungen können potenzielle Forscher*innen wie Rechtsgutachter*innen keine Aufträge römisch-katholischer Bistümer mehr annehmen
- Die Bistümer müssen ihre Archive uneingeschränkt öffnen und wirklich unabhängige Forschung – und damit auch angemessene Veröffentlichung und anschließende öffentliche (!) Debatten – ermöglichen
- Staatliche Behörden, Polizei und Justiz müssen die Aufklärung endlich in ihre Hände nehmen – besser gestern als morgen.
Das alles wird Verletzungen der Betroffenen kaum mehr heilen, Rechtsfrieden ohnehin nicht mehr herstellen können. Zu viele Täter sind ihrer (rechtlichen) Verurteilung durch Verjährung und Tod entkommen. Aber Schuldige klar zu benennen, Schuld jenseits von Buß-Ritualen konkret zu bekennen, korrumpierte Herrschafts-Strukturen endlich zu reformieren – das wäre noch möglich. Aber wie laut muss der Schrei nach Gerechtigkeit noch werden, wie zerstörend das um sich greifende Misstrauen, wie groß der Exodus an Mitgliedern, bis sich die Bistümer besinnen?
Fortsetzung folgt...
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Quellen
- www.zeit.de/2021/06/gutachten-sexueller-missbrauch-rainer-maria-woelki-ulrich-wastl – letzer Zugriff: 13.02.2021
- www.erzbistum-koeln.de/export/sites/ebkportal/rat_und_hilfe/sexualisierte-gewalt/.content/.galleries/unabhaengige-untersuchung/Jahn_Streng-Endfassung-Gutachten-zu-RAe-Westpfahl-pp.-Oktober-2020-geschwarzt.pdf – letzter Zugriff 13.02.2021
- www.spiegel.de/panorama/justiz/kardinal-woelki-vertuschung-nach-sexuellem-missbrauch-im-erzbistum-koeln-kolumne-a-2be0571e-da33-4111-a2fc-995698a0d42d – letzter Zugriff: 13.02.2021
- www.sueddeutsche.de/medien/katholische-kirche-missbrauch-kardinal-woelki-stillschweigen-erzbistum-koeln-journalisten-1.5166778 – Letzter Zugriff 13.02.2021
- www.katholisch.de/artikel/28440-nach-goebbels-vergleich-puff-stellt-fake-news-aussagen-klar – Zugriff 13.02.2021