Hoffnung ist ... wenn ich mich klar ausdrücken kann

Kommentar von Sebastian Dittrich

Manchmal ist es so, dass auch aus unverständlichen Worten eine Problemanzeige deutlich wird:

„Die Erwartungen unserer Gesellschaft an die Kirche sind immer noch und immer neu hoch und groß. Sie sind zurecht groß, weil wir tatsächlich einen Ton in das Leben einzutragen haben, den sonst keiner einträgt. Und diesen Ton möchte ich stark machen. Das ist der Ton der Hoffnung. Hoffnung ist ein rares Gut geworden, in unserer Gesellschaft, in unserer Welt, die aus vielen Wunden blutet. Hoffnung ist fragwürdig und es ist gut, dass Hoffnung fragwürdig ist, sie wird angefragt zunehmend. Sie wird befragt, Sie wird auch hinterfragt. Sie wird auch in Frage gestellt und was kann uns besseres passieren, als eine Hoffnung die des Fragens immer neu würdig ist? Und diesen Ton der Hoffnung, einen gegründeten Ton, der weiß, dass diese Hoffnung getragen ist von einer Verheißung – die möchte ich stark machen, in unserer Gesellschaft für die Menschen, die diesen Ton brauchen.“


So die Ausführungen der neuen EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus, von Ingo Zamperoni in den „Tagesthemen“ befragt, welche Tonlage von ihr zu erwarten wäre [1]. Kenner*innen werden sich erinnern, dass Kurschus auch Mitglied des ominösen Z-Teams der EKD war: Dessen längst wieder vergessene Thesen zur Zukunft der evangelischen Kirche benötigen eine Übertragung in „einfache Sprache“ um verständlich zu sein [2], [3]. Man kann nun mit einiger Sicherheit annehmen, wer hier die verschlungene Feder wesentlich geführt hat.

Aber zurück zum Interview – für das ich selber auch Tage brauchte, um es wahrzunehmen, und überhaupt anzusetzen, das zu interpretieren. Vorweg: recht gelungen ist es mir nicht. Anstoß zu einer Beschäftigung war ohnehin nicht das Interview selber, sondern ein von mir geschätzter Podcast, in dem zwei offensichtlich kirchenferne Menschen sich köstlich darüber amüsierten („Menschen aus der Kirche wollen immer komisch klingen“) [4], und dabei feststellten: „Wir haben alles verloren in der Kirche, und jetzt opfere ich noch die Hoffnung … Es ist sehr merkwürdig, aber da es nur die Kirche ist, ist es auch wahnsinnig lustig, so einen Blödsinn hier zu hören“.

Soweit ist es schon gekommen: Ignoriert oder als lustiger Blödsinn abgetan. Ist ja nur die Kirche. Nun mag ein Tagesthemen-Auftritt nicht der eigentliche Einstand einer Ratsvorsitzenden sein. Vielleicht sind wir auch sehr verwöhnt gewesen, mit einer medienaffinen Margot Kässmann, dem bodenständig-glaubwürdigen Nicolaus Schneider und dem wenigstens eloquenten facebook-Bischof Bedford-Strohm. Aber Erwartungen an die Kirche(n) sind ja da, gerade auch in dieser Krise, und hier haben beide große Kirchen bisher weitgehend enttäuscht.

Man mag noch mit dem eingeschränkten Kenntnis-Stand und beschränkten Möglichkeiten zu Anfang der Pandemie entschuldigen, dass die Kirchen (bzw. Caritas und Diakonie) sich als Träger von Alten- und Pflegeheimen mitschuldig am elenden, einsamen Sterben von ihnen anvertrauten Menschen gemacht haben. Ob die Absage von Gottesdiensten – gerade auch zu Ostern 2020 – unnötiger, vorauseilender, Gehorsam oder ein unerlässlicher Beitrag zu Pandemie-Bekämpfung war – das lässt sich in der Rückschau besser beurteilen. Gut war es, dass katholische und evangelische Repräsentanten dem bundesweiten Toten-Gedenken gemeinsam mit jüdischen und muslimischen Vertreter*innen einen würdigen Rahmen gaben.
Aber was weist über die vierte Corona-Welle, weitere Trauer um Verstorbene, zunehmenden Zorn über ignorante und rücksichtslose Mitglieder unserer Gesellschaft hinaus? Dazu vermögen die evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen bisher kaum eine Antwort zu geben. Was mir bisher hängen blieb, waren kirchenamtliche Ordnungsmaßnahmen nach innen (kein Abendmahl im Haus- oder Familienkreis Ostern 2020) und das inzwischen erfolgreiche Erstreiten von Gottesdiensten ohne irgendeine G-Beschränkung.

Viel könnte Kirche aus eigener Erfahrung sagen, wie das ist: Wenn Gottesdienst-Feiern sich bewegen zwischen Corona-Leugnung und einem Angst-verkrampften Aufpassen, dass sich niemand anstecken möge. Man will ja nicht mit Sekten und neu-rechten Freikirchlern in einen Topf geworfen werden. Aber wie wäre es denn, wenn Kirche aufhören würde, die Frage des Impfens zu moralisieren und zu individualisieren (wie es auch Kurschus tut), und mündigen Christenmenschen die Ansage zumutet: Wenn ihr mit uns feiern wollt, lasst euch testen, lasst euch impfen. Eine Sonntagspflicht gibt es im Protestantismus ja nicht. Dass Menschen draußen bleiben, ließe sich sogar biblisch begründen. Aber warum fürchten wir das „Heulen und Zähneklappern“ (Evangelium nach Matthäus 22,13) so sehr? Es wäre eine klare, überfällige Ansage gerade an rücksichtslose Querdenker*innen, die geistig ohnehin längst aus- und umgezogen sind.
Auch weist die massive Impfverweigerung auf etwas anderes: Egoismus und gesellschaftliche Entsolidarisierung. Denn eigene Befindlichkeiten, vielleicht auch verständliche Verunsicherung werden hier über das Gemeinwohl gestellt. Verantwortung und Lasten werden einseitig auf Kinder, Jugendliche und Risiko-Gruppen abgewälzt, denen eine Impfung teils nicht zur Verfügung steht teils kaum helfen würde. Und dann wären auch wieder die Kirchen und ihre Werke als Arbeitgeber gefragt: Was haben sie seit 2020 getan, um Arbeitsbedingungen in ihren Krankenhäusern und Pflegeheimen zu verbessern? Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den weisen mindestens 3 Finger zurück.

Was ich mir wünsche: Das Kirchen sich trauten, eine neue Hoffnung zu formulieren: das wir künftige Krisen besser bestehen und überwinden. Und sich Gedanken darüber machten, wie diese Hoffnung verwirklicht werden kann. Was sie selbst, jenseits ihres institutionellen Selbsterhaltungstriebs, dazu beitragen können. Ein Blick in die Leitsätze des erwähnten Z-Teams – in vereinfachter Übertragung – sei da empfohlen:

„Die Kirche redet und tut viel. Die Menschen sollen wissen: Warum sagt sie das, warum tut sie das? Früher hat die Kirche viel mehr geredet. Manche sagen: Zu viel. Jetzt möchte sie nicht mehr so viel reden. Nur noch dann, wenn wir sicher sind: Gott möchte, dass wir dazu etwas sagen. Wir sagen etwas anderes als andere Vereine und Menschen. Deswegen tun wir auch andere Dinge.“ [3]


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[1] Tagesthemen 10.11.2021: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/kurschus-ekd-analyse-101.html – letzter Zugriff: 17.11.2021 (Transkription: S. Dittrich)

[2] https://www.ekd.de/zwoelf-leitsaetze-zur-zukunft-einer-aufgeschlossenen-kirche-60102.htm – letzter Zugriff: 17.11.2021

[3] https://kirchengeschichten.blogspot.com/2020/07/die-leitsatze-des-z-teams.html – letzter Zugriff: 17.11.2021

[4] https://www.youtube.com/watch?v=rCSOUHLotfQ&t=1556s – letzter Zugriff: 17.11.2021