Hoch auf dem blau-gelben Ross …
Gedanken zum Ukraine-Krieg

Kommentar von Sebastian Dittrich

There is no monopoly on common sense
On either side of the political fence
We share the same biology, regardless of ideology
Believe me when I say to you
I hope the Russians love their children too

(Gordon Sumner / Serge Prokofieff © Concord Music Publishing )

„Raus aus dem Hofgarten“ - so der Kommentar bei der Online-Ausgabe einer großen Zeitung bezüglich des jüngsten Politik-Wechsels insbesondere der SPD. Meine bewusste Erinnerung reicht altersbedingt nicht so weit zurück; viele IKvu-Geschwister mögen sich an die großen Friedensdemonstrationen der 1980er Jahre erinnern – oder auch selbst dabei gewesen sein. Und fragen sich jetzt vielleicht: Was nun? Sind unsere Ideale vollkommen überholt, ist es jetzt Zeit, sich einer Politik der (vermeintlichen) Stärke anzuschließen? Oder beschämt zu schweigen? Da gibt es viel zu bedenken [6]
Auf einem sicherheitspolitischen Blog [2] habe ich die Tage einen nachdenklichen Kommentar gelesen; leider habe ich ihn beim Abfassen dieses Textes nicht mehr wiedergefunden. Nach der Erinnerung sinngemäß –

Ein jeder muss sich nun fragen: Habe ich meine Grund-Ausbildung noch parat? Bin ich bereit in einen Einsatz zu gehen, von dem ich möglicherweise nicht zurückkehre? Und bin ich bereit zu töten?

– Jener Kommentator, offenbar der Bundeswehr noch verbunden, bekannte er könne nicht jede Frage uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten. Letztere Frage habe ich für mich vor über 20 Jahren – damals noch wehrpflichtig – mit „Nein“ beantwortet. Und dennoch fühle ich mich unsicher, in dem Wissen, wie wenig „abwehrbereit“ die Bundeswehr ist, in Ermangelung einer optimalen Ausstattung, die andere Menschen bedienen müssten.
Meine sonstige Gefühlslage würde ich jetzt so ähnlich wie am 11.09.2001 einordnen – es fehlt mir nur das ikonische Bild dazu, der eine Moment, an dem man sich noch Jahre später erinnert, wo man gewesen ist. Was bei mir aber – neben dem klaren, widerrechtlichen Angriffskrieg und all seinen Opfern – aber in mehrfacher Sicht einen Brechreiz erzeugt, das kann ich umso klarer aufzählen:

  • Die Überraschung, dass sich ein Putin nun als Kriegsverbrecher erweist: Als habe es Tschetschenien und Syrien nicht gegeben. Da hat die Erinnerung zum Teil verzögert eingesetzt [8], [9]
  • Die Blauäugigkeit, mit der man sich über Jahre, Jahrzehnte eine fatale Abhängigkeit mit einem noch nie wirklich demokratischen Regime begeben hat – aber mit Gas, Öl und Kohle haben zu viele verdient. Billig waren und sind sie nie [5].
  • Und natürlich die Scheinheiligkeit, mit der nun mit (ehrlicher oder gespielter) Entrüstung die Fahne des Völkerrechts hochgehalten wird. Als sei etwa die Besetzung des Iraks mit herbei-gefälschten Begründungen vom Völkerrecht gedeckt gewesen [7]. Das zu benennen, relativiert die aktuellen und kommenden Verbrechen Putins in der Ukraine keineswegs.


Regelrechten Zorn entfacht es bei mir, was aktuell rund um die Ukraine-Flüchtlinge zu besichtigen ist: Da überbieten sich Politik und Medien, die Polen für ihre große Aufnahmebereitschaft zu loben.  Nachdem man über Monate Flüchtlinge anderer Nationalitäten im Niemandsland an der Ostgrenze hat erfrieren, verhungern und dahinsiechen lassen. Aber das sind „Kanacken“ – während die Ukrainer „echte“ Kriegsflüchtlinge sind [10]. Mit einer verwandten, daher besser verständlichen Sprache. Und zufällig weiß. Auch in meiner aktuellen Heimat Sachsen wird man brutalstmögliche Abschiebungen von Familien jetzt wohl nicht aussetzen – vielleicht noch mit dem fadenscheinigen Argument, für die Ukraine-Flüchtlinge Platz schaffen zu müssen. Was war eigentlich mit den afghanischen Ortskräften? Da durfte sich „2015“ nicht wiederholen. Jetzt heißt es, man habe ja aus „2015“ gelernt, und könne (wolle?) es schaffen.

Und die Kirchen? Müssen die beiden großen Kirchen nun ihre im Grunde auch schon über Jahre weichgespülten, teils noch militär- und kriegskritischen Positionen räumen [3]? Ich meine: Nein. Ebenso stände es aber insbesondere im ökumenischen Rat der Kirchen gut an, die russisch-orthodoxen Geschwister einmal sehr deutlich zu kritisieren. Wer hierzulande (zumeist von rechts) von „Staatskirchen“ faselt, muss Putins symphonischen Schoßhund Kyrill schon absichtlich übersehen. Der sieht das Bekriegen der Ukraine gar als „Akt christlicher Nächstenliebe“ [4] Und mancher mag sich an die Waffen-Segnung serbischer Gewehre durch orthodoxe Priester im Bosnienkrieg erinnern [1].

Und so etwas will ich hier auf keinen Fall sehen.

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Quellen

[1] Koch, Herbert. 2009. Der geopferte Jesus und die christliche Gewalt. Patmos, Düsseldorf: 238 S.

[2] https://augengeradeaus.net/ – letzter Zugriff: 13.03.2022

[3] https://www.evangelische-friedensarbeit.de/artikel/2022/friedrich-kramer-keine-grundsaetzliche-neuorientierung-der-friedensethik-aber

[4] https://religionsphilosophischer-salon.de/14703_die-fratze-der-russisch-orthodoxen-hierarchie-sie-ist-ein-kriegstreiber_befreiung – letzter Zugriff: 13.03.2022

[5] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/wird-wissenschaft-beachtet-rentierstaatstheorie-und-russlandkrise/ – letzter Zugriff: 13.03.2022

[6] https://youtu.be/aA4btzVlVig – letzter Zugriff: 13.03.2022

[7] https://youtu.be/FlXihZc2IzQ – letzter Zugriff: 13.03.2022

[8] https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/wladimir-putin-ukraine-russland-krieg-5vor8 – letzter Zugriff: 13.03.2022

[9] https://www.zeit.de/politik/2022-03/krieg-ukraine-europa-zweiter-weltkrieg-kriegskinder-5vor8 – letzter Zugriff: 13.03.2022