F – As – C – Es: 
Wenn’s vom Turm Faschismus läutet

Ein weithin unbeachtetes Detail in der Geschichte der Potsdamer Garnisonkirche


Uwe-Karsten Plisch

 

Man könnte meinen, über den Bau des Klons der Potsdamer Garnisonkirche sei inzwischen alles gesagt. Der Turmstumpf steht, der Staat hat sich für die Finanzierung dieses „Vorhabens von nationaler Tragweite“ (wer’s glaubt, wird eher nicht selig) in die Pflicht nehmen lassen, weil die Spendengelder doch nicht so üppig flossen, wie vorher von der Stiftung Garnisonkirche vollmundig in Aussicht gestellt (es ist halt nicht die Frauenkirche) und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO), die eigentlich kein Geld für gar nichts hat, gewährte großzügig einen zinslosen Kredit über 6 Mio. Euro ohne Laufzeit, der aus den Eintrittsgeldern, also nach menschlichem Ermessen niemals, zurückgezahlt werden wird, Personalkosten nicht eingerechnet. Die Synode hat das ohne nennenswerten Widerstand durchgewunken. Im Mai ernannte die EKBO den Turmstumpfpfarrer der Potsdamer Garnisonkirche Jan Kinggren zu ihrem Friedensbeauftragten. Das passt irgendwie zur „Neuausrichtung der evangelischen Friedensethik“ angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine, bekanntlich gab es ja vorher keine Kriege in der Welt, schon gar nicht mit deutschen Waffen. In Potsdam wurde mühsam ein Kompromiss zur weiteren Gestaltung des Areals um Garnisonkirche und Rechenzentrum gefunden, der von der Stiftung Garnisonkirche postwendend in Frage gestellt wurde (siehe unten den von Prof. Philipp Oswalt u.a. verfassten offenen Brief). So bleibt die Stadtgesellschaft von Potsdam weiter gespalten, woran die Ostdeutschen („Kommunisten oder Faschisten“) natürlich ganz allein und selbst schuld sind. Garnison­kirchengroßspender Günther Jauch betreibt derweil Greenwashing für Lidl.

Kürzlich bekam ich allerdings das Buch von Werner Schwipps, Die Garnisonkirchen von Berlin und Potsdam (Berlinische Reminiszenzen VI), von 1964 geschenkt und bin darin über ein interessantes Detail gestolpert, das ich bisher nicht kannte. Das Buch ist sehr detailverliebt, vor allem aber war der Autor mit der Enkeltochter von Otto Becker, dem letzten Potsdamer Garnisonkirchenorganisten, verheiratet, weshalb das Buch einen starken Akzent auf Kirchenmusik legt.

Zitat, S. 96f:
„1939, kurze Zeit vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, erhielt die Hof- und Garnisonkirche ein schwingendes Geläut. Der Studienrat Eugen Thiele hatte sich dafür eingesetzt und vorgeschlagen, vier Glocken mit den Tönen As, C, Es und F zu beschaffen. … Die finanziellen Mittel wurden durch Stiftungen beschafft … Am Sonnabend, dem 29. April 1939, wurden die Glocken vom Güterbahnhof feierlich eingeholt. Voran ritt auf Schimmeln das Trompeterkorps der Kavallerie. Dann folgten, von Abordnungen der Militärgemeinde und der Zivilgemeinde begleitet, die Wagen mit den Glocken. …
Der Sonntag Exaudi, 21. Mai 1939, wurde für die Glockenweihe bestimmt. Noch einmal hatte die Hof- und Garnisonkirche einen großen Tag. Fast dreitausend Menschen füllten sie bis auf den letzten Platz, als Heerespfarrer Damrath die Glocken einzeln aufrief und ihnen der Reihe nach ihren Weihespruch gab. Die größte Glocke As war dem Begründer und Erbauer der Kirche, Friedrich Wilhelm I., zugedacht. Die zweite Glocke C trug den Namen Friedrichs des Großen, die Glocke Es erinnerte an die Königin Luise. Die Glocke F war Hindenburg geweiht.“ 
 
Das von Eugen Thiele angestoßene Vorhaben stieß bei der Gemeinde zunächst auf wenig Gegenliebe – man hatte ja schon das berühmte Glockenspiel und scheute die Kosten. Doch Eugen Thiele ließ nicht locker und das zusätzliche freie Geläut konnte mittels Spenden (damals klappte das noch) realisiert werden. Interessant ist an diesem Geläut zum einen die Vierzahl der Glocken (üblich sind drei) und sodann die Tonfolge, ein As-Dur-Akkord nebst dem Grundton der Paralleltonart f-Moll. 

Werner Schwipps erläutert in seinem Buch den Sinn der Tonfolge nicht, konnte aber bestimmt Latein und hat sich eins gefeixt. Beim Initiator Eugen Thiele muss ohnehin mit deutschem Gymnasiallehrerhumor gerechnet werden. Um die zu Grunde liegende Intention zu verstehen, muss man die Tonfolge programmatisch lesen als F-As-C-Es, also das lateinische Wort fasces für die Rutenbündel der römischen Liktoren. Die Liktoren waren im Römischen Reich ursprünglich Leibwächter, später Begleiter hoher Staatsbeamter, denen sie eben dieses Rutenbündel, die sogenannten fasces, vorantrugen. Im 20. Jahrhundert wurden die fasces mit dem darin befindlichen Beil zum Symbol der italienischen Faschisten, der Begriff Faschismus ist von fasces abgeleitet.

Die Glocken der Potsdamer Garnisonkirche läuteten also seit dem 29. April 1939 fröhlich und mit „sehr reinem Klang“ „Faschismus, Faschismus“, auch wenn sich die Tonfolge F-As-C-Es sich sicher nicht so leicht beim Hören entschlüsseln lässt wie das berühmte B-A-C-H.

Dass die F-Glocke Paul von Hindenburg gewidmet ist, ist im Kontext durchaus stimmig. Er hatte schließlich als Reichspräsident Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht und diesem am „Tag von Potsdam“ in der Garnisonkirche (und später noch einmal draußen für die Pressefotografen) die Hand gereicht und damit als Nationalkonservativer dem Faschismus in Deutschland zum endgültigen Durchbruch verholfen.