Neujahrsgruss unseres Sprechers Andreas Seiverth

Liebe Freundinnen und Freunde in den Mitgliedsgruppen,
liebe Einzelmitglieder und Interessierte der IKvu,

„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

 

... mit dem bekannten Aufruf aus Georg Büchners Flugschrift „Der hessische Landbote“ (1834) grüße ich Euch alle - auch im Namen des Leitungsteams der IKvu - im Büchnerjahr 2013. Damit möchte ich die von Wolf Gunter Brügmann-Friedeborn, meinem Vorgänger im Sprecheramt, begonnene kleine Tradition fortsetzen: Zur Ermunterung für unser Engagement  und verbunden mit meinen besten Wünschen für ein gesegnetes, spannendes und erfolgreiches Jahr 2013 auf dem Weg zu einer „Kirche von unten“.

 

Zu den Wünschen, mit denen uns Bürgerinnen und Bürger Bundeskanzlerin Angela Merkel in  ihrer Ansprache am Silvesterabend neben anderen bedachte, gehörte auch „Gottes Segen“. Ich war leicht irritiert, weil ich damit nicht gerechnet hatte, aber auch weil sich gegen meinen Willen das ungute Gefühl bemerkbar machte, der Wunsch könnte sich nur aus Reverenz gegenüber dem „hohen C“ im Firmenschild ihrer Partei in ihre Ansprache verirrt haben und nur taktisch gemeint sein.

Aber dann fiel mir ein, dass die Bundeskanzlerin 2012 zum ersten Mal auf einer EKD-Synode im November 2012 ein Grußwort gehalten hatte, von der Synode mit großem Beifall quittiert. Darin hatte sie auch davon gesprochen, dass „die Bundesregierung auch dabei (ist), wenn es darum geht, das Reformationsjubiläum vorzubereiten und zu unterstützen“ und hinzugefügt: “Ich sage ganz offen: Ich erhoffe mir, dass es – wenn man das heutzutage noch sagen darf – eine missionarische Komponente hat, dass etwas von dem Geist der Reformation wieder zum Menschen gelangt, die von diesem Geist vielleicht nie oder schon lange nicht mehr gehört haben.“ Über den „Dialog der Religionen“ und seine „äußerste Bedeutung“ für die Integration in unserem Land und Europa gelangte die Kanzlerin zu den „Herausforderungen, die wir im Miteinander von weltlicher Gewalt und Kirchen haben“– eine dieser Herausforderungen sei auch die „europäische Staatsschuldenkrise“: „Hier sind einfachste Regeln missachtet worden, und der Geist der sozialen Marktwirtschaft ist mit Füßen getreten worden.“

 

In der Woche vor Weihnachten hatten wir dann jedoch Gelegenheit mit zu erleben, wie eine Hundertschaft von Polizisten die Deutsche Bank betrat, weil diese nach dem Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft mit großer Wahrscheinlichkeit Steuergesetze missachtet hat. Wir wissen noch nicht, wie das Verfahren ausgehen wird. Als Kollateraleffekt förderte die Razzia auch noch Material zu Tage, das im anhängigen Prozess zwischen der Deutschen Bank und den Erben des Medienmoguls und Pleitiers Kirch verwendet werden wird. Vielleicht bringt das Jahr 2013 dann eine weitere Verurteilung wie die im Oktober 2011, die jedoch gegen Zahlung der Kleinigkeit von einer halben Milliarde US-Dollar mit einer „Einigung mit dem US-Justizministerium“ endete; die „Nichtverfolgungsvereinbarung“ bewahrte die Bank, wegen erwiesenen – so wörtlich – „kriminellen Fehlverhaltens“ vor einer Verurteilung. Mit diesem säkularen Ablasshandel kaufte sich die Deutsche Bank davon frei, weiter strafrechtlich verfolgt zu werden.

 

Von einem „missionarischen Impuls“ gegen die organisierte Mithilfe von Großbanken in Deutschland, der Schweiz und den USA bei Steuerhinterziehung bzw. Steuersenkung für ihre vermögenden Großkunden haben wir von niemandem etwas vernommen. Immerhin zeigten sich einige Politiker „empört“ darüber, dass einer der beiden Vorstandschefs der Deutschen Bank sich beim hessischen Ministerpräsidenten über den Polizeieinsatz in seinem Haus beschwerte; wofür er sich dann schnell entschuldigte. Zumindest die Entschuldigung ist kostenfrei und für Stilwidrigkeiten dieser Art ist auch noch kein Bußgeld einzutreiben. Die „weltliche Gewalt“ waltete in Gestalt der Staatsanwaltschaft glücklicherweise ihres Amtes und es gab kein „Miteinander zwischen weltlicher Gewalt“ und – Bankgewalt, und darauf dürfen wir bis auf weiteres vertrauen, zumindest solange, wie die Deutsche Bank nicht ihre „Systemrelevanz“ ins Spiel bringt. Das entsprechende Szenario muss nicht mühsam erdacht werden, sondern ergäbe sich ganz von selbst, wenn die Schadensersatz-, Einigungs- und Strafverfolgungskosten, die in verschiedenen Ländern gegen sie anhängig sind, sich summieren und bündeln und die Reputation und die Gewinnaussichten so ruiniert werden, dass die bislang vermiedene Staatsknete zu ihrer „Rettung“ doch nötig wird.

 

Diese vor- und nachweihnachtlichen Nachrichten haben sich bei mir mit den Einsichten aus der Lektüre eines Buches verknüpft, das sich als Fundgrube für die Kritik oder auch die historische Fundierung der seit 2007 laufenden Reformationsdekade erweist: Heinz Schilling, einer der führenden deutschen Historiker zur Geschichte der Frühen Neuzeit, veröffentlichte vor kurzem eine Luther-Biographie (Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, C.H. Beck 2012), die den Jubiläumsmachern für 2017 in den Ohren klingeln müsste. Sie räumt nicht nur mit dem „Mythos des Thesenanschlags 1517“ auf – das wäre nicht mehr eigens nötig –, sondern zeigt in für mich geradezu aufregender Weise die „Dialektik von Erfolg und Scheitern der Reformation“.

 

Nimmt man diese Dialektik zum Ausgangspunkt im heutigen römischkatholisch-evangelischen Ökumenedialog, würden beide Seiten mit der Einsicht konfrontiert, dass der von Luther initiierte Reformationsprozess entgegen seiner ursprünglichen Intention einer Universalreform der Kirche einerseits zur Etablierung der „lutherischen Konfessionskultur“ und einer neuen konfessionellen Partikularkirche führte, zum anderen aber auch „eine nachreformatorisch katholische Konfessionskirche mit der ihr entsprechenden Konfessionskultur (formierte), die nicht anders als die reformatorischen Konfessionskirchen eine neue, neuzeitliche Kirche war“ (S. 444). Wenn beide Großkirchen lernen, sich in gleicher Weise als historische Produkte eines „in der Reformation geborenen Konfessionalismus“ (ebd.) zu verstehen, müsste schon aus historischer Wahrhaftigkeit allen Spielarten eines konfessionellen Fundamentalismus der Boden entzogen sein.

 

Weil mit der Einsicht in die Geschichtlichkeit der eigenen Positionen aber immer neu das Gespenst eines haltlosen Relativismus beschworen werden kann, hat der religiöse Fundamentalismus auf beiden Konfessionsseiten Konjunktur. Das ist aber nur die eine Seite des Dilemmas; die andere besteht darin, einer weichgespülten ökumenischen Verständigungspolitik zu folgen, deren höchster Wunsch darin besteht, das Reformationsjubiläum doch ökumenisch feiern zu können. Die Logik der Reformationsdekade, die sich auf den Mythos des Thesenanschlags gründet, ist offensichtlich mit der Hoffnung verbunden, den Weg in die „Ketzerkirche“ (Thomas Kaufmann) nachträglich umkehren oder irgendwie „ungeschehen“ machen zu können. Dabei wird schon im erinnerungspolitischen Ansatz die Tatsache ausgeblendet und der Diskussion entzogen, dass die katholische Seite die Diskreditierung und Verurteilung Luthers als Ketzer erfolgreich durchgesetzt und bis heute nicht revidiert hat, und Luther „die ihm zugewiesene Rolle des Ketzers in seiner Weise spielte und annahm“ (so der lutherische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann in seiner großartigen „Geschichte der Reformation“, Suhrkamp Verlag 2009, S. 252).

 

Da sich dieser Prozess und seine theologisch und kirchenrechtliche Dynamik aber im Jahr 1520 abspielte, wäre dieses das eigentliche „Entscheidungsjahr der Reformation“. Das aber ließe sich vermutlich nicht wirklich „feiern“. Es wäre daher aus meiner Sicht eine ebenso lohnende wie notwendige Aufgabe der IKvu, sich dieser Geschichtsklitterung und den damit verbundenen konfessionellen Selbstbehauptungsstrategien nicht nur zu verweigern, sondern eine „Ökumene von unten und nach vorne“ entgegenzusetzen.            

 

Auf Mythen, Vorurteile und ideologische Scheuklappen hinzuweisen ist eine der Aufgaben, die die IKvu seit ihrer Gründung begleiten – so auch in diesem Jahr 2013:

Auf den jüngsten Querblick zum Thema „Mythos Konzil“ folgt im Frühjahr die neue Ausgabe „Mythos Reformation“. Ende März laden wir in die Evangelische Akademie Wittenberg zur Tagung „Die Glaubenswächter. Christlicher Fundamentalismus in Deutschland“ (22. – 24. März) ein. Und anlässlich des Hamburger Evangelischen Kirchentages werden wir das zweite Mal den „Dorothee Sölle-Preis für aufrechten Gang“ verleihen, wozu ich Sie alle recht herzlich einladen möchte. Vielleicht sehen wir uns auch bei der IKvu-Jahresversammlung von 5. - 7. April in Eschborn? 

 

Der Rücktritt von Benedikt XVI. wird bis dahin aller Voraussicht nach zur Wahl eines neuen Papstes geführt haben. Schon dieser Vorgang zeigt, dass nichts so festgefügt ist, wie es scheint. Ob sich daraus neue Optionen für die Ökumene und für eine menschlichere römische Kirche ergeben - bei aller Skepsis aus Erfahrung ist das zu wünschen! Dafür gibt es die Kirche von unten und dafür arbeiten wir in unseren Gemeinden und Gruppen. Informationen zu den Veranstaltungen und Aktivitäten der IKvu-Mitgliedsgruppen, die ich hier gar nicht alle aufzählen kann, finden Sie wie immer auf unserer Website www.ikvu.de  

 

Es ist ein verspäteter, aber herzlicher Neujahrsgruß, den ich mit meinen besten Wünschen beschließe!

 

Euer Andreas Seiverth