IKvu-Geschichte
»Unserer Unzulänglichkeit bewußt . . . «
Die Initiative Kirche von unten unterwegs durch 25 Jahre.
von Bernd Hans Göhrig
Ulrich Wenner, der Pressesprecher des ersten „Katholikentags von unten“ 1980 in Berlin, zog zwei Jahre später in seinem Artikel "Wohin steuert die Opposition?" in Publik-Forum eine kritische Zwischenbilanz: »Der Berliner "Katholikentag von unten" (Kvu) war noch ganz von der "Ergänzungsthese" geprägt: der Kvu sollte auf inhaltliche Defizite des offiziellen Programms aufmerksam machen und dieses im Interesse von mehr Pluralität ergänzen. Dies läßt sich auf das Verhältnis von IKvu und Kirche nicht einfach übertragen. Ergänzen kann man nur etwas, das im Grundsätzlichen in Ordnung ist, dem aber noch einige kräftige Tupfer guttun. Das gilt gegenwärtig für die katholische Kirche nicht; sie zeigt keine Bereitschaft, auf Impulse von der kritischen Basis einzugehen, läßt ihre hierarchische Struktur nicht einmal in Randbereichen (Studentengemeinden) in Frage stellen und ist politisch weiterhin auf die CDU fixiert. Hier ist nichts zu ergänzen, hier muß die IKvu deutlich Gegenposition beziehen.«
25 Jahre danach
... ist die IKvu nicht mehr nur ein ergänzendes oder oppositionelles Pendant zum offiziellen Katholizismus – sie hat inzwischen ihre eigene Biographie und gesellschafts- und kirchenpolitische Wirkungsgeschichte entfaltet: Als Akteurin auf dem kirchenpolitischen Parkett wird sie in einer genau umrissenen Funktion angefragt – als kritisch-begleitende Instanz, als Mahnerin und als Anwältin für ausgegrenzte Personen, Gruppen und Themen. Damit ist sie nah an ihrem Gründungsimpuls geblieben und hat doch in den letzten Jahren das eigene Profil entscheidend weiterentwickelt und sich von den Aporien der Gründungsphase
emanzipiert. Mit ihrer ökumenischen Öffnung – augenfällig schon im Namenszusatz Ökumenisches Netzwerk – wurde die Fixierung auf binnenkatholische Problemlagen überwunden, zugunsten eines grundsätzlichen christlich motivierten politischen Handlungsansatzes.
catholic reverse
Dieser Schritt war längst überfällig und er hatte sich im Grunde bereits im gesellschaftspolitischen Engagement der 80er Jahren angekündigt – erfuhr jedoch ein abruptes Ende durch die Ereignisse von 1989: Der Diskurs vom Ende der Geschichte (Francis Fukuyama) über den Sieg des Westens und die eingetretene Alternativlosigkeit führte in den 90er Jahren auch innerkirchlich zu Entdifferenzierung und zu einer nachhaltigen Forcierung des römisch-katholischen Identitätsdiskurses, erkennbar etwa in der Disziplinierungspolitik Johannes Paul II. und in einer damit einhergehenden Verrechtlichung der Theologie.
Die IKvu reagierte darauf mit der Gründung der KirchenVolksBewegung "Wir sind Kirche" – sie konnte sich diesem Schritt wohl kaum entziehen, übernahm dadurch jedoch die Konzentration auf innerkatholische Themen, anstatt souverän mit dem eigenen Potential an alternativen politischen Ressourcen eine sinnvolle Perspektive aufzubauen.
Die Quittung für diese Anpassungsleistung folgte beim Mainzer Katholikentag 1998: Während die gemäßigte Kirchenkritik der inzwischen selbständig agierenden KirchenVolksBewegung im Konzert der Katholikentagsgruppen mitspielte, fanden sich die IKvu-Gruppen abseits in einem leeren Zelt wieder – mit Themen, die zwar nicht falsch oder unwichtig geworden waren, doch nicht in den Diskurs paßten. Reorganisation tat Not – oder Auflösung.
Die IKvu entschied sich für ein Experiment:
1. Nach Jahren frei floatender Programmatik beschloß das Netzwerk 1999 sein erstes Grundsatzprogramm.
2. Die Herausforderung des für 2003 geplanten Ökumenischen Kirchentages wurde energisch angenommen und zunächst im eigenen Haus konsequent umgesetzt: Einerseits in einer fundierten theologischen Vorbereitung von eucharistischer Gastfreundschaft als die konfessionelle Trennung überwindende Abendmahlspraxis, und strukturell in der Öffnung des Netzwerks in die protestantischen Kirchen hinein.
Ökumene der Orte
Es gehört zu den kleinen Wundern der IKvu-Geschichte, daß auch hier kein vollkommener Neuanfang nötig war, denn von Anfang an begleiteten evangelische Gemeinden das Projekt eines Katholikentages von unten (Kvu) wohlwollend und unterstützend: Heilig Kreuz-Passion (Berlin 1980 und 2003), Zion und Gethsemane (Berlin 2003), Martin-Luther (Ulm 2004), Kreuzkirche (Hannover 2005) – um nur einige zu nennen.
In dieser Geschichte der Orte wurde eine ökumenische Erfahrung möglich gemacht, die die IKvu durch die Jahre hin impliziter tief prägte und die als Ökumene im Alltag eine theologische Qualität besitzt: Den Ort, der ein Zuhause genannt werden könnte, gibt es für die IKvu nicht. Katholische Gemeinden sind ihr verwehrt – obwohl viele ihrer Mitglieder und Gruppen in katholischen Gemeinden zuhause sind. So liegt die Erinnerung an die Wanderung der Mütter und Väter Israels, an Sarah und Rebekka und Rahel, an Abraham, Isaak und Jakob sehr nahe. Das ist ein theologisches Motiv, das der IKvu von Beginn an existentiell eingeschrieben ist. Anders als das verfaßte Christentum in der BRD lebt die IKvu, leben die Gruppen der IKvu im "noch nicht".
Während katholische Gemeinden zuletzt in eine hierarchische Kirche eingebunden sind, die ihnen eine Selbstbestimmung vorenthält, prägt der Begriff der evangelischen Freiheit die Verfassung der protestantischen Gemeinden – sie können da entscheiden, wo ihre katholischen Schwestergemeinden sich zu gehorsamem Schweigen verpflichtet haben, sie können zum Beispiel Gastfreundschaft gewähren, praktisch und theologisch, in Räumen und im Abendmahl.
Dabei war diese Gastfreundschaft nie ein Automatismus: Die Vorstände der evangelischen Gemeinden wußten zu gut, was es unter Umständen bedeuten konnte, diesen Gast zu beherbergen. Die Entscheidung der Berliner Gethsemane-Gemeinde, während des Ökumenischen Kirchentages zusammen mit der IKvu und anderen ökumenische Gottesdienste zu feiern, führte zu Auseinandersetzungen mit Landesbischof Huber einerseits und mit dem ZdK andererseits. Auch die Ulmer Martin-Luther-Gemeinde, bei der die IKvu während des Katholikentages 2004 zu Gast war, kennt eine solche Konfliktgeschichte.
Gemeinde sein
In den 25 Jahren ist zugleich das Bewußtsein gewachsen, Gemeinde zu sein: Angestoßen von der Basisgemeinden-Bewegung der 60er und 70er Jahre spielte das Motiv einer Erneuerung der Kirche(n) durch basiskirchliche Strukturen eine Schlüsselrolle in der Gründungsphase der IKvu von 1978 bis tief in die 80er Jahre hinein. Basisgemeinden in Frankfurt am Main, Bonn, Hannover und anderswo, oft Studierendengemeinden entwachsen, prägten die frühe Gestalt der Bewegung. Der Konflikt um die IKvu-Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft katholischer Studenten- und Hochschulgemeinden (AGG), in deren Räumen die junge Initiative zuerst zu Gast war, reflektiert diesen speziellen Diskurs um die Erneuerung der katholischen Kirche.
Über die Jahre hinweg wurden die Gruppen der IKvu dann schließlich selbst zu Gemeinden in einem sehr einfachen Sinn: Sie teilen wesentliche Bezüge ihres Lebens miteinander und darüberhinaus ein spezifisches Anliegen, für das sie kämpfen und das sie vor allem anderen eint und miteinander versöhnt, auch wenn es darüber immer wieder zum Streiten über Wege, Strategien und Ruhepunkte kommt - das ist nicht negativ, sondern liegt in der Natur der Sache begründet.
Darüber hinaus ist zugleich ein allgemeines Bewußtsein der Zugehörigkeit über die Mitgliedsgruppen hinaus gewachsen: Zahlreiche Gruppen und Gemeinden und Menschen verstehen sich als Teil dieser Kirche von unten-Bewegung und freuen sich, wenn sie in diesem Sinn angesprochen werden.
Neue Polarisierungen
Geblieben ist in den 25 Jahren indes das Agieren der Sollbruchstelle zu den Oberkirchen, indem Themen aufgegriffen werden, die viele Menschen bewegen und die in den Kirchen aus ideologischen Gründen allenfalls auf der heimlichen Tagesordnung zu finden sind. Dabei setzt die IKvu nicht auf die Logik der Massen – sie könnte dies aus personellen, strukturellen und nicht zuletzt aus finanziellen Gründen gar nicht leisten: Die Engagierten in den alternativen christlichen Initiativen und Netzwerken sind in die Jahre gekommen und besonders in den 90er Jahren weniger geworden.
Dies trifft freilich auch für Kirchengemeinden zu – zugleich erhalten aber christlich-fundamentalistische resp. traditionalistische Richtungen verstärkt Zulauf von unten und Unterstützung von oben, aus der Leitungsebene der Kirchen. Traditionsreiche Gruppen wie der Bensberger Kreis, der mit seinen Memoranden die politische Diskussion in der BRD prägte, ziehen die Konsequenz und lösen sich auf, andere ringen noch mit diesem letzten Schritt – während sich die Netzwerker vom rechten Rand der Kirchen – auch konfessionsübergreifend! – verbünden und nicht nur kirchenpolitisch agieren.
Demokratie verteidigen
Geblieben ist auch der dezidiert gesellschaftspolitische Ansatz: Schließlich reicht die Vorgeschichte der IKvu zurück in die Entstehungszeit eines kritischen und christlichen Politikansatzes in Deutschland, und das meint durchaus in West und Ost: Der gesellschafts- und staatskritische Impuls der 20er Jahre, der in den christlichen Ablegern der Jugendbewegung – etwa in Quickborn, Heliand und Bund Neudeutschland –, in der Liturgischen Bewegung, in der "linkskatholischen" Presse und "linksprotestantischen" Kreisen persönlichkeitsbildend und aufklärerisch wirkte und profilierte Persönlichkeiten hervorbrachte, findet sich auch nach 1945 in Gruppen und Kreisen in der DDR wieder – vielleicht schärfer und profilierter noch als im Weststaat, aus verständlichen Gründen: Die doppelte Frontstellung gegen Staat und Kirche war für kritische christliche Geister im Osten existentiell. Nach 1989 wird der Staat in der Auseinandersetzung mit Widerstandserinnerungen, in aktiver Christinnenpflicht beim Flüchtingsschutz und im Kampf für das Recht auf Asyl bald wieder selbst zum Thema.
Auch in den Solidaritätgruppen mit Lateinamerika und Afrika, denen Kaffeeverkaufen nie genug war, ist die Erkenntnis bis heute lebendig geblieben, daß gerade die Fortentwicklung der Demokratie zu den Aufgaben der IKvu gehören muß – sind sie doch bis heute immer wieder in den Hinterhöfen der westlichen Dominanzkultur Lateinamerikas und Afrikas mit Menschenrechtsverachtung konfrontiert. Darin tradiert sich die Erfahrung, daß man Demokratie nie "hat", sondern daß sie immer bedroht ist, gerade im demokratischen Rechtsstaat, und daher immer von neuem gegen Verachtung und gegen ihre Verächter verteidigt werden muß. In Form von Rasterfahndung, Einschränkung des Datenschutzes, Kontrolle und Verdrängung im öffentlichen Raum wurde dies zuletzt nach dem 11. September brennend aktuell.
So ist die IKvu heute, im Jahr 2005, zweifellos eine andere als die Initiative des Jahres 1980. Zugleich besteht ihr Kern jedoch bis heute aus einem bundesweiten Beziehungsgeflecht unterschiedlicher Menschen und Gruppen, für die das kritische politische Engagement aus christlicher Motivation heraus untrennbar mit Kirche-sein verknüpft ist. Diese Haltung offensiv und mitunter provokant zu vertreten könnte auch in Zukunft ein wichtiger Beitrag sein. Die sich daraus ergebenden Inhalte und Aufgaben müssen nicht gesucht werden – sie sind noch immer offensichtlich wie schon vor 25 Jahren: "Unserer Unzulänglichkeit bewußt, wollen wir solidarisch sein mit den Zurückgesetzten und Vergessenen unserer Zeit." (Selbstverständniserklärung 1999)