Dorothee Sölle-Preis 2024
Einführung von Dr. Sebastian Dittrich
Liebe Freundinnen und Freunde von Dorothee Sölle, liebe Preisträgerinnen,
- der Beginn der politischen Nachtgebete 1968 in Köln, und
- das ökumenische Abendmahl vor den Toren des Katholikentags in Hamburg im Jahr 2000
–
zwei Marken des weiten Weges, den viele Reformgruppen, wie auch die Kirche von unten, mit ihr gemeinsam gegangen sind.
Im Zusammenhang mit dem Dorothee Sölle Preis fiel bei uns im Leitungsteam auch mal dieser Satz: dass man damit auch der Bonhoefferisierung von Dorothee Sölle einen Riegel vorschieben könnte. Es ist das, was wir schon lange sehen: Wie ein verdienter Theologe und ermordeter Widerstandsgeist zum Märtyrer, zum ökumenischen Säulenheiligen verklärt wurde.
Das hat bei Dorothee Sölle bisher eher schlecht funktioniert. Zum Glück. Vielleicht, weil sie eine Frau war. Oder ihr Leben länger währte, ihr Werk weniger Fragment blieb. Sie war nicht vereinnahmungsfähig. Nie hat sich eine Berufung auf eine deutsche Universitätsprofessur ergeben.
Das Politische und Theologische sind bei ihr untrennbar verbunden. In einer streitbaren starken Frau, deren Gedichte zugleich eine unendliche poetische Feinfühligkeit bezeugen. Ein biblisch tief verwurzelter, zugleich lebendiger Glaube. Mystik und p olitischer Aktivismus. Zutiefst nach denkliche und dunkle Zeugnisse wie auch wunderbar fröhliche, ins Leben rufende Texte hat sie uns hinterlassen.
Wir werden heute noch einige Texte von Dorothee Sölle hören, wie auch Lieder singen von der Art, die sie selbst sehr geschätzt hat. Vielleicht ist es der Emmaus So ng, der manche ihrer Motive ganz gut zeigt [Auszug] er wird gesprochen:
(…)
Haben wir nicht gedacht
wir wären frei und könnten befreien
all die kaputten Typen
das Arbeiterkind das sitzenbleibt und bestraft wird
den jungen auf seinem Moped
zur falschen Arbzur falschen Arbeit geschickt
ein Leben lang
den Mann der taub und stumm ist
im falschen Land
zur falschen Zeitz
stummgemacht durch die Arbeit
fürs Brot allein
ein Leben lang
So lange sind wir gegangen
in dieselbe die falsche Richtung
weg von der Stadt unserer Hoffnung
die dort noch begraben liegt
Dann haben wir einen getroffen
der teilte mit uns sein Brot der zeigte das neue Wasser
hier in der Stadt unsrer Hoffnung
ich bin das Wasser du bist das Wasser
er ist das Wasser
sie ist das Wasser
Da kehrten wir um und gingen
in die Stadt der begrabenen Hoffnung
hinauf nach Jerusalem
Der mit dem Wasser geht
mit der mit dem Brot geht mit
wir werden das Wasser finden
wir werden das Wasser sein
Ich bin das Wasser des Lebens
du bist das Wasser des Lebens
wir sind das Wasser des Lebens
ihr seid das Wasser des Lebens
wir werden das Wasser finden
wir werden das Wasser sein
So wie Dorothee Sölle jene Emmaus-Szene interpretiert und mit Leben füllt, so setzte sie die Bibel mit ihrem Leben in Beziehung. So wie die Bibel bei ihr nicht dekorativ herumstand, wollte sie selbst nicht starr auf eine Säule gestellt werden.
Da kehrten wir um und gingen
In die Stadt der begrabenen Hoffnung
Auch das kennzeichnete Dorothee Sölle: Sie blieb selbst nicht stehen. Sie blieb immer in Bewegung, brachte sich in Diskussionen ein. Ihre Bewegung, ihr Gang durch Kirche und Welt war aufrecht, ungebeugt. Geprägt von Empathie und der Anteilnahme am Leben anderer. Sie stand
aufrecht ein für ihre Positionen, ergriff bewusst Partei gegen Unrecht und Ungerechtigkeiten.
Was könnte in dieser Zeit aktueller sein? – Gewinnen doch gerade politische Parteien an Einfluss, die vor allem das Stehenbleiben in den Vordergrund stellen, oder gar den Rückwärtsgang in eine Vergangenheit, die es so nie gab. Und es gibt zu viele andere, die dem nachgeben, sich beugen. Wer sich aber beugt, sieht mehr von den eigenen Füßen als vom Gesicht seines oder seiner Gegenüber. So verlieren wir auch unsere Mitmenschen, unsere Mit-Welt aus dem Blick. Und unsere eigene Mit-Verantwortung für beide.
„Ihr seid das Wasser des Lebens“ - „Wir sind das Wasser des Lebens“.
Im Emmaus-Song kommen die Jünger und Jüngerinnen nicht an. Aber sie sind auf dem Weg zu der Stadt der Hoffnung. Und auch heute feiern wir belebende Hoffnung. Begraben, um wieder einmal freigelegt zu werden. Daher auch heute diese Preisverleihung, anlässlich ihres 95. Geburtstags.
Der mit dem Wasser geht
mit der mit dem Brot geht mit
Und er spricht: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ – und: weitergehen – lässt sich den Jesus-Worten nach dem Johannes-Evangelium hinzufügen.
So wollen wir an diesem Abend ein Leben erinnern, Worte des Lebens hören – und zwei wunderbare, aufrechte Frauen für ihren bisherigen Weg ehren und für ihren weiteren Weg stärken. Vielen Dank.