Dorothee Sölle-Preis 2024

Von Prof. Dr. Renate Jost

Laudatio für Carlotta Israel

Es ist für mich eine besondere Freude und Ehre, hier in der Nordweststadt, in der ich längere Zeit gelebt habe, diese Laudatio auf Carlotta Israel für den Dorothee Sölle-Preis zu halten. Dies umso mehr, als Carlotta Mitglied in unserem Verein zur Förderung Feministischer Theologie ist und ich in einer Zeit, in der es mit wenigen Ausnahmen nicht möglich war, bei einer Professorin zu studieren, bei Dorothee Sölle am Union Theological Seminary In New York studieren konnte.

Wer ist Carlotta Israel?
Diese Frage stellte ich dem Copiloten und bekam folgende beindruckende Antwort für eine erst 31 jährige Theologin:

„Carlotta Israel ist eine bemerkenswerte evangelische Theologin, die sich intensiv mit feministischer Theologie und Kirchengeschichte beschäftigt. Hier sind einige wichtige Punkte über sie:

Sie ist bekannt für ihre Arbeit in der feministischen Theologie und verwendet bewusst den Begriff „The*logie“, um auf die Geschlechtervielfalt in der Gottesvorstellung hinzuweisen (https://www.evangelische-zeitung.de/warum-sagen-sie-feministische-thelogie-frau-israel).

Seit April 2024 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Kirchengeschichte an der Universität Oldenburg (https://uol.de/theologie/institut/personen/israel-carlotta).
Carlotta Israel hat mehrere Bücher und Aufsätze veröffentlicht, darunter Werke zur Frauenordination und zur Rezeption von Katharina von Bora und Martin Luther.
Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte umfassen intersektionale Ansätze in der feministischen Theologie, die Mehrfachdiskriminierungen berücksichtigen.“

Wer ist Carlotta Israel?

Die Preisträgerin ist mir auf unterschiedliche Weise persönlich begegnet.

2021 zunächst digital bei einem Symposion, das sie unter dem Titel “Feminismus von gestern? Feministische Theologie heute und morgen“ zusammen mit anderen aus der LMU München veranstaltete.

Diese Veranstaltung war für mich eine erstaunliche und schöne Überraschung denn viele Jahre lang war gerade die Münchner Fakultät für ev. Theologie relativ resistent gegenüber
Frauen und Genderbewusster feministischer Intersektioneller Theologie.

In der Coronazeit und kurz vor meinem Ruhestand gab mir dieses Symposium, an dem u.a. auch mit uns die Kolleginnen Marie-Theres Wacker und Ute Gause diskutierten, Hoffnung für die Zukunft.

Zum zweiten Mal begegnete ich der Preisträgerin literarisch in ihrem Artikel „Geschlechterbewusste und herrschaftskritische The*logie heute. Anknüpfung an gestern und Ausblicke auf morgen“ , den sie zusammen mit Charlotte Jacobs in dem Buch „Perspektiven feministischer Theologie und Gender Studies“ im selben Jahr veröffentlichte. In diesem Text entwickeln die beiden Autorinnen ihre Vision Geschlechterbewusster und Herrschaftskritischer queerer Theologie.

Deutlich wird, dass es ihnen nicht um eine Veränderung innerhalb der bestehenden Systeme geht, sondern dass ein intersektioneller Kampf nicht mit „neugewonnenen Aufstiegschancen marginalisierter Gruppen enden“ kann. Und dass sich dabei in Zukunft „materialistisch- und queer-feministische Herrschaftskritik, d.h. Hierarchie- und Kapitalismuskritik, gegenseitig bereichern“.

Lange wenig gelesene Aussagen in der Theologie. Zwar mit anderen Worten, aber in der Sache ähnlich hätte dies auch Dorothee Sölle formulieren können, nur dass vor über zwanzig Jahren andere Begrifflichkeiten verwendet wurden.

Wie bei der Namensgeberin des Preises verbinden Carlotta Israel und Charlotte Jakobs ihre politischen Aussagen mit der subversiven Kraft christlichen Glaubens, die sich aus dem Vermögen ergibt „an die Möglichkeit einer anderen Wirklichkeit zu glauben.“

Und schließlich begegnete mir Carlotta persönlich im Zusammenhang einer vom Verein zur Förderung feministischer Theologie initiierten Dorothee Sölle-Veranstaltung im März des letzten Jahres anlässlich des Gedenkens an Dorothee Sölle in Frankfurt . 20 Jahre nach dem überraschenden Tod von Dorothee Sölle 2003 Bad Boll erinnerten wir in einer festlichen und musikalisch vielfältig umrahmten Gedenkfeier an diese wichtige Theologin, deren Namen dieser Preis heute trägt.
Beeindruckend war für mich und alle anderen, wie Dorothee Sölle sachgemäß, kompetent und persönlich berührend von Carlotta Israel dargestellt wurde.

Ich zitiere aus Carlotta Israels Vortrag über Dorothee Sölle:
„Für mich als Mutter einer anderthalbjährigen Tochter ist das Kapitel „Vom Schmerz der Geburt“ aus ihrer Autobiografie quasi Gedicht, obwohl es in Prosa verfasst ist. Dieses Thema so hervorzuheben und einer eigenen Frauenfamiliengeschichte zu gedenken, rührt mich an und verbindet. Bei allem selbst mächtig werden durch Worte, benennt Sölle auch Ohnmachtserfahrungen. Auch Macht und Ohnmacht sind nicht voneinander zu trennen.

Vulnerabilität Ausdruck verleihen zu wollen und zu können, ist eine eigene Kunst. Folgende Fragen von ihr aus dem genannten Kapitel weiten den theologischen Blick. Sie könnten Gebet oder Gedicht sein. Ich zitiere aus „Gegenwind“, den Erinnerungen von Dorothee Sölle: „Wie wird unser Schmerz zum Schmerz Gottes? Wie gewinnen wir Anteil am messianischen Schmerz der Befreiung, am Stöhnen der in Wehen liegenden Schöpfung? Wie leiden wir so, daß unser Leiden Schmerz der Geburt wird?“

Diese Begegnungen auf unterschiedlichen Ebenen sind schon Grund genug für mich dafür, dass Carlotta Israel den Dorothee Sölle Nachwuchspreis erhält.

Auf meine Rückfrage, weshalb die Veranstalter Kirche von unten Carlotta für preiswürdig, halten, erhielt ich von Bernd Hans Göhrig den Hinweis auf die Internetseite Die Eule. Ich habe mich darüber gefreut, in welcher Weise hier aktuelle kirchliche und gesellschaftliche Themen besprochen werden. Spannend fand ich die kurzen informativen Artikel von Carlotta zur Frage der Schließung der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal so wie der Gleichberechtigung innerhalb der evangelisch-lutherischen Bayerischen Kirche mit der
Überschrift „Bayern und die Frauen: Kommt die Quote?“

Im Gespräch mit Eule-Redakteur Philipp Greifenstein ging es darum, was Intersektionalität und intersektionaler Feminismus bedeuten, wie mit Mansplaining in der Kirche umgegangen werden kann, Zukunftsthemen der feministischen Theologie – und wie (Frauen-)Quoten in der Kirche funktionieren könnten.

Auch als Wissenschaftlerin hat Carlotta Israel mit ihrer Dissertation zum Thema „Evangelische Frauenordination im geteilten Deutschland“, die sie 2023 einreichte, Neuland betreten.

In ihrem Werk wird ihr genderbewusster intersektioneller Ansatz erkennbar. Carlotta Israel bringt neue Aspekte zu den schon vorhandenen Untersuchungen zur Frauenordination, wie z.B. die Unterschiede innerhalb der einzelnen Landeskirchen, Kirchenverbände, sowie zwischen Ost und West ein und diskutiert diese weiterführend in ihrem politisch-sozialen Umfeld.

Nur kurz möchte ich darauf hinweisen, dass der heutige Dorothee Sölle-Preis nicht der einzige Preis für Carlotta Israel ist: Beim Elisabeth Gössman-Preis für theologische Genderforschung wurde ihre Dissertation zweitplatziert.

In Göttingen er hielt sie Im WS 2023/24 den „1. Preis der Lehrpreis der Fachschaft Theologie für die Lehrveranstaltung ‚Evangelische Kirche und Frauenbewegungen‘,“ in der sie sich durch besonderes Engagement und herausragende didaktische und inhaltliche Gestaltung in den Augen der Studierenden ausgezeichnet hat.“

Ich bin davon überzeugt das Dorothee Sölle begeistert über die heutige Preisverleihung an Carlotta Israel gewesen wäre. Die Preisträgerin zeigt eine Vielfalt an theologischen Einsichten, sie verbindet Theorie und Praxis mit politischem Engagement und menschlicher Wärme, wie es der Namensgeberin des Preises gefallen hätte.

Dieser Nachwuchs Preis wird sicherlich nicht der letzte Preis sein, den Carlotta Israel erhält.

Herzlichen Glückwunsch Carlotta!