Dankesrede Jutta Lehnert

Ich bin sicher, dass die Worte von Britta Baas zu groß sind für eine kleine Person wie mich …

 

Kein Mensch allein verdient so viel Lob, deshalb muss ich sagen, für wen ich das Lob und diesen Preis heute entgegennehme: Zunächst für die betroffenen Zeugen und Zeuginnen sexualisierter Gewalt in der Kirche, die den Mut gefunden haben zu sprechen und sich zu organisieren. Hinter ihnen stehen viele, die das in ihrer Verletzung nicht können … Ich bin ihnen dankbar, denn ich habe von ihnen bei allem Schmerz und aller Empörung geistige Tiefe und einen Klärungswillen kennengelernt, der mich tief beeindruckt hat. Sie melden sich zu  aggressiv zu Wort, höre ich oft – wir hören in unseren Kirchen vielleicht zu selten die Sprache von Empörung und Zorn, kann das sein?

 

Ich nehme den Preis auch entgegen für Menschen in unserer Kirche, die sich nicht mehr beruhigen können über das Unrecht und sich dafür schämen, dass unsere offizielle Kirche den Betroffenen nicht wirklich zuhört und sich der Frage nach den strukturellen Begünstigungen verweigert.

 

Und besonders gern nehme ich den Preis an für den kleinen pfiffigen Jugendverband KSJ im Bistum Trier, der sich nicht beugen ließ und gerade seine Autonomie bewahrt hat vor der Vereinnahmung durch die kirchliche Verwaltung. Für Jugendliche, denen wir ein zeit- und phantasiefressendes Bildungssystem zumuten, ist es besonders schwer, innere Kraft und Rückgrat auszubilden. Ich bin sehr stolz darauf, dass das in der KSJ mit Spaß gelingt.

 

Kein Mensch allein ist stark. Kräfte wachsen uns nur zu, wenn sie uns zugetraut und abverlangt werden, in einer tragenden Gemeinschaft. Deshalb bin ich froh, dass Menschen mit mir mitgekommen sind … von MissBit, von Schafsbrief, aus meiner Familie, aus der KSJ, der KHG und von den Pallottinern …

 

Kein Mensch gewinnt allein Durchblick. Es ist an dieser Stelle endlich die Gelegenheit, sich als katholische Theologin bei den protestantischen Theologinnen zu bedanken, allen voran Dorothee Sölle. Wir Frauen der katholischen Kirche hatten ja nach dem zweiten vatikanischen Konzil, das endlich die heilige Schrift in den Mittelpunkt rückte, keine eigene exegetische und theologische Tradition. Meine Verbindung von Praxis und Theologie lässt sich bis heute nicht denken ohne die Arbeit unserer protestantischen Schwestern. Der Feminismus der Kirchenfrauen ist nur ökumenisch und interkulturell zu denken, das ist ein wunderbares Ergebnis dieses Geschenks der starken Frauen Ihrer Kirche.

 

Wo stehen wir jetzt, was ist zu tun?

 

Die Unfähigkeit unserer institutionellen Kirche angesichts der sexualisierten Gewalt in ihren Reihen schreit nach einer unabhängigen Kommission wie in Belgien, den Niederlanden. Ich frage kritisch, woher die Zurückhaltung unserer staatlichen Behörden kommt …

 

Mir fällt auf, dass vorschnell vom Vergeben die Rede ist. Dorothee Sölle hat sich diese Frage gestellt, schon 1971, im Kontext der langsamen Erkenntnis der Naziverbrechen und in ihrer Auseinandersetzung mit der Theologie Rudolf Bultmanns. Sie schreibt: „Ist denn eine Vergebung am Beleidigten vorbei möglich? Ist es denkbar, dass Gott hinter dem Rücken von Menschen, die es eigentlich angeht, vergibt?“ ... Eine Vergebung von oben, wie sie es nennt, engt die Vergebung privatisiert ein, „ein Gott, der das für sie mit uns abmacht, der sich also für uns auf ihre Kosten arrangiert, ist nicht der Gott Jesu, der das unteilbare Heil aller bedeutet.“ Die Täter zum Bekenntnis ihrer Schuld zu führen – das wäre ein Betrag nicht nur zur Heilung der Betroffenen, sondern auch zur Heilung unseres gewaltbestimmten gesellschaftlichen Miteinanders.

 

Was ist mit Menschen, die in der Nähe eines priesterlichen Täters gearbeitet haben, die vielleicht sogar in seine Strategie eingebaut waren als abhängig Beschäftigte oder ideologisch Abhängige; Menschen, die vielleicht weggesehen und jetzt Schuldgefühle haben, Menschen, die sich fragen, warum sie blind gemacht wurden – oder auch Menschen, denen dieser Durchblick noch fehlt oder sich der Wahrheit verweigern. Das sind „sekundäre Opfer“, die innerlich gespalten sind und schwer an ihren Schuldgefühlen tragen. Auch das ehrenamtliche Engagement ist verletzt, denn als Jugendlicher möchte man doch einer hundertprozentig guten Sache dienen, das verträgt keinen solch tiefen Verrat gerade an Kindern und Jugendlichen. 

 

Das sogenannte Glaubwürdigkeitsproblem der Kirche ist nicht mein Problem, das ist ja eher eine oberflächliche Imagefrage. Mir geht es um einen evangeliumsgemäßen Umgang mit den Betroffenen. Für die am besten bezeugte Eigenschaft Jesu, sein Einfühlungsvermögen in die Schwachen, die Geschädigten, die Wehrlosen hat das Neue Testament ein schönes Wort:  „esplachnizo“ – das bedeutet, es fuhr ihm in den Bauch, es drehte ihm den Magen um. Diese emotionale Berührbarkeit scheint der institutionellen Kirche völlig abhanden gekommen – das ist historisch gewachsen und bis in die Tiefenstrukturen der Kirche vorgedrungen. Ich bin überzeugt davon, dass es da einen Zusammenhang zur strukturellen Sünde der Frauendiskriminierung unserer Kirche gibt. 

 

Spätestens nach den Diskussionen um die Fernsehserie „Unsere Väter – unsere Mütter“ ist auch in das allgemeine Alltagsbewusstsein eingedrungen, was Traumatisierung durch Gewalt bedeutet und wie schrecklich lange sie Menschen in Scham und Angst gefangen halten kann. Es widerspricht jedem Rechtsempfinden, dass die Lügen der Täter verjähren dürfen, während die Wunden der Opfer niemals heilen können ohne Schuldanerkenntnis. Die Verjährungsfristen für Seelenmord gehören sofort und rechtwirksam abgeschafft.

 

Warum ich nicht aus dieser Kirche austrete, werde ich oft gefragt. Dass die katholische Kirche sich gar nicht bewegt, kann man nicht sagen. Immerhin wurde vor kurzem Hildegard von Bingen heiliggesprochen;  also im Mittelalter ist unsere Kirche schon mal angekommen. Oder die Äußerung von Bischof Zollitsch letzte Woche, dass durchaus ein Diakonat von Frauen denkbar sei,  allerdings ohne Weihe. Dazu zitiere ich gern den Kabarettisten Heri Lehnert: „Als man Johannes Paul II. fragte, warum Frauen nicht Priester werden dürften, sagte er: „Weil beim letzten Abendmahl keine Frauen am Tisch saßen.“ Am Ostermorgen waren nur die Frauen am Grab. Ich befürchte jetzt, dass bei der allgemeinen Auferstehung der Toten die Männer liegen bleiben müssen.“

 

Eine Kirche ist ein Ort, wo man frei, also ohne Angst sprechen kann, hat Dorothee Sölle einmal gesagt. Aber was rede ich von Kirche hier auf dem evangelischen Kirchentag? Wo doch Papst Benedikt sagte, die evangelische sei keine richtige Kirche, sie hätte nur gewisse Elemente von Kirche. Gewisse Elemente hat die katholische Kirche noch zusätzlich …