Das neue Netz
Predigt im Gottesdienst am Fastnachtssonntag, 10. Februar 2013 in der Kirche der Pallotiner in Vallendar, Haus Wasserburg
Das neue Netz
Lukas 5, 1-11
Dass wir uns vergeblich mühen, das ist allgemein menschliche Erfahrung. Für eine Prüfung wird fleißig gebüffelt – und erreicht wird trotzdem nicht die erwünschte Note. Oder ein Beispiel aus der Jugendarbeit: Jugendliche machen bei den Ausbildungsprogrammen mit – können aber dann doch keine Funktion als Teamer oder Gruppenleiterin übernehmen, weil der Schulstress ihnen Zeit und Kräfte raubt. Vergebliches Arbeiten, das kennen wir alle.
Mit der Not der Vergeblichkeit beginnt unsere Geschichte aus dem Evangelium – mit einer überraschenden Fülle endet sie. Was dazwischen geschieht, dieser Veränderung nachzugehen, ist mein Anliegen heute Morgen. Die Fischer – wir erfahren im Lauf des Textes, dass es Petrus und die damalige Führungsriege der Jerusalemer Gemeinde ist – arbeiten so, wie sie es seit Jahren tun und wie sie es sicher von ihren Vätern übernommen haben: Seit Jahrhunderten weiß man, dass man nachts ausfahren muss, weil in der Dunkelheit die Fische an die Oberfläche steigen und in die Reichweite der Netze kommen. Jeder Handgriff sitzt und ist eingeübt: Die Boote ins Wasser, dann wie gewohnt zueinander positionieren, dann die Netze raus, dann abwarten, dann zupacken. Ganz ohne Ladung geht es selten nach Hause.
Was Jesus verlangt, als die Boote wieder im Sand liegen, ist völlig verrückt. Kein Fisch zeigt sich im Sonnenlicht, man wird nichts fangen, das ist sicher. Mit dem Gewohnten brechen, das ist die Forderung, um die es geht. So wird es auch am Ende der Geschichte sein: Sie werden mit den Netzen und Booten auch ihr altes Leben zurücklassen, weil sie diesem Jesus ins Netz gegangen sind….Zu diesem alten Leben gehörte sicher auch ihr Selbstverständnis als Männer, Familienernährer, Oberhäupter von Sippe und Dorfgemeinschaft. Das neue Netz, in dem sie die ersten Fische sind, will aber nach anderen Regeln geknüpft und ausgeworfen werden, als sie es bisher gewohnt sind. Nur wer diesen Sprung schafft, kann an diesem Netz mitknüpfen, an der neuen Gemeinschaft mitbauen. Und so verbindet Lukas mit der Berufungsgeschichte von Petrus und den anderen führenden Männern einen klaren Hinweis:
Wer Leitungsverantwortung übernimmt in der Gemeinde Jesu muss bereit sein, gewohnte Rollen und Handlungsmuster hinter sich zu lassen. Sonst klappt es nicht mit dem neuen Netz, das ja ein neues Miteinander von Männern, Frauen und Kindern sein will. Wer in seinen alten Mustern bleibt, dem fehlt die Nähe Jesu – so erzählt es ja die Geschichte: Das vergebliche Fischen hat auch damit zu tun, dass Jesus noch nicht bei ihnen ist. Zu Jesus zu gehören und beim Herkömmlichen bleiben wollen – das geht nicht zusammen.
Wer aber den Mut hat, mit dem System zu brechen, den wird die Fülle des Reiches Gottes überwältigen. Das ist ein großartiges Hoffnungsbild, das die Gemeinde des Lukas sehr gebraucht hat. Kein Evangelist hat ja so stark über die Überwindung der sozialen Trennlinien in seiner Gemeinde reflektiert wie er: Die üblichen Trennlinien zwischen arm und reich, Mann und Frau, Nichtjuden und Juden. Und das schloss immer auch Konflikte mit der Gemeindeleitung mit ein, die sich gegen manche Offenheit gesträubt hat. Nicht umsonst heißt Petrus „harter Brocken“ so übersetze ich das „Petrus, der Fels“ lieber – er scheint es wirklich auch gewesen zu sein. Die Konflikte zwischen dem offeneren Paulus und den etwas engstirnigeren Gemeindeleitern von Jerusalem sind bekannt, Lukas schreibt darüber in seiner Apostelgeschichte.
Diese Geschichte aus seinem Evangelium ist eine Mahnung, dass selbst Petrus der Weisung Jesu nachgab, aus dem Gewohnten auszubrechen, wozu auch patriarchale Handlungsmuster gehörten. Und nicht wieder zurückfallen in das alte System; deshalb schnell weg mit Jesus und alles liegenlassen, was für das alte System steht! Wieder zurückzufallen – das ist ja eine Gefahr, der die Kirche im Lauf ihrer Geschichte leider wieder nachgegeben hat.
Vielleicht ist ja die überwältigende Fülle des Reiches Gottes deshalb noch nicht da, weil die Kirche immer wieder in die alten Strukturen zurückgefallen ist? Diese Frage ist vielleicht zu scharf gestellt, aber uns wird im Blick zurück schon klar, dass in der entstehenden Kirche nicht nur die sozialen Trennlinien wieder zurückkehrten, sondern dass sie durch die unselige Verknüpfung zwischen Staats- und Kirchenmacht noch an Schärfe gewannen.
Der Blick zurück kann überheblich werden, die später Geborenen wissen es immer besser, klar. Deshalb ist es wichtig, mit Hilfe des Textes Sensibilitäten für heute auszuprägen.
Handeln wir als Gemeinde und Kirche so, dass wir Jesus mit im Boot haben? Der Fall von Köln, der die notwendige Barmherzigkeit vermissen lässt, spricht da eine andere Sprache. Aber er fragt auch uns, wie nahe wir Opfer an uns herankommen lassen. Es muss ja Gründe dafür geben, dass missbrauchte Kinder so oft anheben zu sprechen, ehe ihnen jemand zuhört…oder dass die verschwiegene häusliche Gewalt wieder zunimmt.
Sind wir bereit, gewohnte Denkweisen und Handlungsmuster zu verlassen, die ja hervorragend dazu geeignet sind, Benachteiligungen festzuschreiben? Ein klitzekleines Beispiel…Eltern aus Ruanda hierher einladen….
Daneben habe ich den Eindruck, dass unsere „Führungsriege“ lieber weiterrudert und im Dunkeln fischt…
Wie schwer es fällt, ein festgefügtes Bild von sicher selber aufzugeben, können wir an unserer Kirchenleitung ablesen. Da ist viel Angst im Spiel, Angst davor, unangenehme Wahrheiten hören zu müssen, Macht abgeben zu müssen, endlich das Imagedenken überwinden zu müssen, damit man sich den Opfern wirklich zuwenden kann. Die Jesuiten haben zur ihrem internen Konflikt ein Buch verfasst, eine ehrliche und mutige Bestandsaufnahme, die auch von der Angst vor der Wahrheit erzählt. Ein zentraler Satz (Klaus Mertes): „Die Institution Kirche kann über sich die Wahrheit nur lernen, wenn sie mit dem Blick der Opfer auf sich schaut.“