Erfahrungsbericht anlässlich der Frühjahrstagung der DBK in Trier
Erfahrungsbericht aus dem „Bündnis Aufklärung“ anlässlich der Frühjahrstagung der Deutschen Bischofskonferenz in Trier im Februar 2013
von Jutta Lehnert
Dienstagmorgen, Schülercafé in der Weberbach. Man trifft sich hier, um kurz zu beraten. Einer ist besonders empört, hat Tränen in den Augen. Der Auslöser: Der Satz von Bischof Zollitsch, zitiert im Trierischen Volksfreund: Da gebe es „ ein paar Leute, die glauben für die Opfer zu sprechen.“ Ein betroffener Zeuge ist er, aus der Gruppe der Ehemaligen des Johanneum Homburg. Wir sagen lieber „betroffene Zeugen“ statt Opfer. „Das ist für mich wie ein Schlag ins Gesicht.“ Wir sind uns einig, dass dieser unangemessene Umgang mit tief verletzten Menschen nicht in Einklang zu bringen ist mit dem Amt eines Bischofs. Es bewahrheitet sich, was der Jesuitenpater Christian Herwartz aus Berlin bei der ersten Veranstaltung am Abend davor gesagt hat: Man hört den Opfern nicht zu, man tut nur so, als würde man zuhören. Man hört nicht mit dem Herzen und deshalb hat das Hören auch keine Konsequenzen. Später werden uns Fotos gezeigt. Einige der betroffenen Zeugen und Zeuginnen waren bereit, für den Kreuzweg Kinderfotos herauszusuchen. Welches Gefühl das wohl sein mag, ein Foto von damals wieder in die Hand zu nehmen, sich selbst als noch nicht oder gerade verletztes Kind in Erinnerung zu rufen? Einige geben die Fotos nur für den Kreuzweg her, wollen nicht, dass die Kameras sie verbreiten. Noch nach 40 Jahren ist die Scham groß, ist der Schmerz lebendig.
Ohne mitfühlendes Zuhören bleiben die Tatbestände auf Distanz, die Folge ist höchstens eine oberflächliche Betroffenheitsrhetorik. Vor diesem Hintergrund laufen alle Präventionsmaßnahmen ins Leere, denn man müsste für eine wirkungsvolle Prävention wissen, wovor man sich hüten oder was man vermeiden muss. Prävention setzt voraus, dass man das, was geschehen ist, umfassend verstanden hat. So sagt es auch der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke aus Bonn, der mit leiser Ironie die Gestrigkeit des Kirchenrechts vorführt. Das sieht zwar den Tatbestand der sexualisierten Gewalt durch Kleriker vor, ist aber gleichzeitig inkompatibel mit dem weltlichen Recht. Fragen, die jeder deutsche Bischof sich seit den ersten bekannt gewordenen Fällen in den USA und in Irland hätte stellen müssen, werden von ihm klar benannt: Haben Sie sich mit den anhängigen Verfahren und der Aktenlage Ihres Vorgängers so befasst, dass die Verantwortung auch wirklich übernommen wurde? Haben Sie sich wirklich intensiv Opfererfahrungen ausgesetzt? Haben Sie ein reines Herz, was die Beachtung der kirchenrechtlichen und staatsrechtlichen Regelungen angeht? Nicht nur Individuen sondern auch Institutionen haben ein Problem damit, Schuld anzunehmen. Dann überwiegt ein zur Schau gestellter guter Wille, der sich im Umgang mit den Opfern nicht bewahrheitet. Neu war für mich die Information des Psychologen Rainer Banse, dass unter den Tätern in der Kirche der Anteil der brutalen und sadistischen Gewalttäter höher ist als im gesellschaftlichen Feld. Er führt die Übergriffe weniger auf Pädophilie als auf Vereinsamung, ungeklärte Sexualität und Alkoholprobleme zurück. Das Männerbündische und die hierarchischen Machtstrukturen der Kirche wirkten dabei begünstigend.
Mit der Aussage „Aufklärung spaltet“ wies Jesuitenpater Herwatz darauf hin, dass der Weg der Bekehrung zu den Opfern konfliktreich ist, eine Erfahrung, die man zur Zeit im Jesuitenorden macht (Das Buch dazu: Unheilige Macht). Das zeigte sich auch an der zögerlichen Haltung von kirchlichen Gruppen und Verbänden, das „Aktionsbündnis Aufklärung“ zu unterstützen. Dafür war der Wunsch, Hintergrundinformationen zu erhalten und Betroffenen zu begegnen, recht stark. Auch der zweite Abend mit Autorenlesungen war gut besucht. Aus den Berichten vor allem von Rainer Stadler über das Kloster Ettal, aber auch aus den Recherchen von skydaddy (Matthias Krause) und Thomas Schnitzler wird deutlich, wie perfide nicht nur die Taten, sondern auch die Strategien der Vertuschung wirkten. Es herrschte eine bedrückende Atmosphäre im Saal der VHS gegenüber dem Dom, die Verbrechen an den Kindern kamen sehr nahe.
Wie schon am ersten Abend gingen wir dann zum Kornmarkt, um die Laserinstallation zu betrachten, die recht eindrucksvoll an der alten Post unter anderem die Wörter „Aufklärung!“, „Herzensverkalkung“ und „Seelenmordende Seelsorger“ aufscheinen ließ. Das kalte Wetter machte es leider Passanten schwer, länger zum Betrachten zu verweilen. Am Kreuzweg nahmen nur rund 30 Leute teil – natürlich könnte man die die ungewöhnliche Kälte an diesem Abend als Erklärung dafür nehmen. Aber mir scheint es eher die noch ihn den Herzen vorherrschende Kälte zu sein, die sich gegen die Wahrheit sträubt. Bei jeder Station des Leidensweges wurden Tatbestände auf Plakaten dokumentiert und nach einer Zeit der Stille mit einem Wort aus den Klagepsalmen verbunden. Ein hörendes Herz, ein aufmerksames Auge und ein mutiger Mund – darum ging es. Nach dem Kreuzweg war noch Gelegenheit, mit einzelnen Opfern zu sprechen. Es ist empörend, wie mit ihnen bis zur Stunde umgegangen wird: Es reicht einfach nicht, sie einfach einzuladen, ihnen dann Mitarbeiter des Bistums und das „volle Programm der Prävention“ vorzustellen – dabei aber sie selbst kaum zu Wort kommen zu lassen. Eine Kirche, die sich den Opfern zuneigen will, muss neben ihnen aushalten, ihre Sprache, ihre Ängste, ihre Beschuldigungen an sich herankommen lassen – und ihren schweren Weg zur Heilung mitgehen. Daran fehlt es, so ist das. Wie aus dem unwürdigen Streit um die Zahlungen an die Opfer mittlerweile klar wird, sind die Opfer weder bei der Kirche noch beim Staat in guten Händen. Sie sind lästige Störfaktoren, so sieht da aus.
Andere Themen scheinen der Bischofskonferenz wichtiger: Der eucharistische Kongress, das neue Gotteslob und ein widersprüchliches Angebot an „die Frauen“ in der Kirche. Ja, auch die Pille danach. Die Bischöfe sind öffentlich unter Druck geraten, deshalb wird aufgeregt und halbprofessionell reagiert. Was ihnen vorkommt wie ein großer Schritt, ist aber keine wirkliche Lösung. Wie kann man nur meinen, die Schuldgeschichte der Kirche gegenüber „den Frauen“ sei mit einem „Segnungsamt“ aus der Welt zu schaffen? Mir fällt dazu nur ein, dass so etwas nur den Fortbestand der ungerechten Verhältnisse absichert und „die Frauen“ zu Trümmerfrauen der Kirchenkrise degradiert werden. Gesegnete Putzlappen, mehr ist es nicht.
Die offizielle Kirche muss endlich erkennen, dass sich Christus im Gesicht der Opfer spiegelt. Ohne diese Erkenntnis verfehlt sie ihren Auftrag.