Malta - von den Grenzen Europas

Malta -  von den Grenzen Europas

 

Malta ist eine merkwürdige Insel, mit freundlichen Menschen.

 

Wenn ich zum Beispiel frage, welcher Bus nun zur Universität fährt, und ob er auf dieser oder der anderen Straßenseite abfährt, gibt es einen freundlichen Menschenauflauf, von wild debattierenden Menschen, die auf Englisch und Maltesisch diskutieren, welcher Bus besser und welche Straßenseite nun die richtige sei. Sucht man eine Straße oder gar eine Hausnummer, ist man total verkehrt, denn niemand weiß genau, wo das sein soll. Aber wenn man nach Paola fragt, die in Paola wohnen würde, „Sie wissen schon, die mit den drei netten Kindern und die aus der Fischerfamilie stammt, die ehrenamtlich in der und der Kirche arbeitet“ dann hat man eine gute Chance, dass jemand antwortet: „Die Rothaarige- ach die, ja warten Sie, die wohnt….“ Und dann folgt die Wegbeschreibung. Kaum wahrscheinlich, dass Touristen oder Fremde solche Anhaltspunkte haben. Also muss MacDonalds oder KFC oder „Du weißt schon, dieses nette Fischrestaurant“ als Treffpunkt oder Beschreibung der nächsten Bushaltestelle ausreichen.

 

Also am Besten fährt man immer zur größten Kirche in einer dieser Orte auf Malta, die jedenfalls im Südosten alle wirken, als wären sie ein Stadtteil von Valetta. Man verabredet sich dann dort und lässt sich von dort weiter geleiten, um seinen Zielort zu erreichen. Da die Stadtnamen zudem auf von Banken gesponserten kleinen Tafeln nur viel zu spät oft zu erkennen sind, passiert es schnell, dass man verloren geht, auf dieser Insel, die nur wenige Quadratkilometer umfasst.

 

Die Insulaner verfallen schnell in ihre eigene Sprache, meist mit einem ortstypischen Dialekt, sodass es kaum eine Chance gibt, eine Diskussion zu verfolgen, die eigentlich auf Englisch startete. Kommt es allerdings zu einer intensiveren Diskussion, hört sich das oft an, als würden alle streiten. Das liegt an der harten Aussprache, aber eben auch an dem Temperament, das schnell am Überkochen ist.

 

So erzählt mir einer der freundlichsten Mitarbeiter, den ich kenne, friedfertig und liebenswert, über die gerade laufende Debatte zur Scheidung, dass z.B. alle mit allen in der Familie streiten, obwohl sich alle einig sind, dass das Referendum, das Ende April durchgeführt wird,  überflüssig ist, genauso wie Scheidungen an sich eine moderne europäische Krankheit sind, die nur als Importartikel nach Malta kamen, denn immerhin werden 95 % der Ehen immer noch in einer katholischen Kirche geschlossen,- wozu also diskutieren? Als ich versuche ,etwas zu erwidern, lasse ich es lieber und frage, worum es denn bei den Familienstreitigkeiten auf Malta sonst so geht - wenn schon das Referendum, obwohl alle einer Meinung sind, zu solchem Zündstoff wird.

 

Auf jeden Fall ist Fußball schlimmer als jede andere tiefere Glaubensfrage ein Anlass zu heftigen Streitigkeiten. Ganze Familienfeste gehen unter in der Frage, ob nun Juventus Turin, Manchester United oder doch eher der FC Madrid das A und O seien. Spielen gar die Vereine gegeneinander, sollte man bestimmte Lokale nicht aufsuchen. Da die Söhne dieses Mitarbeiters jeder ein Fan von einem der Vereine sind, haben sie solange zwei Vereine gegeneinander spielen, Hausverbot bis nach dem Spiel.

 

Und natürlich ist die Frage der Migranten ein Zündstoff innerhalb der maltesischen Gesellschaft. Es gibt die mitfühlendsten Menschen hier auf Malta, die, bevor überhaupt die Frage gestellt wird, beteuern, dass sie niemals unter  Umständen wie hier, sollten sie selbst einmal Flüchtlinge werden, untergebracht werden möchten. Sie sind entsetzt über die Aufnahmebedingungen und fragen, wie es möglich sei, dass man hier in einem ausgedienten Hangar Zelte aufbaut, um Kinder und Frauen darin unterzubringen, umringt von schäbigen Containern, vollgepfropft mit männlichen Flüchtlingen aus ostafrikanischen Krisengebieten.

 

Und gleichzeitig wird die Frage nach der europäischen Solidarität laut gestellt: wie soll ein kleines Land wie Malta es schaffen, dass alle möglichst weiterziehen und die Insel wieder verlassen. Denn Platz gibt es wirklich kaum bei 400.000 Einwohnern und nur wenigen Kilometer Länge und Breite.

 

So wird alles getan, damit möglichst nichts klappt, schon gar nicht die gefürchtete Integration der Ankommenden, damit Flüchtlinge möglichst nicht hier bleiben. Und jeder Flüchtling, den ich sprach, bestätigt mir, dass Frankreich, Deutschland, Schweden, Finnland wunderbar wären,- der Traum eines jeden Flüchtlings. Nur bloß nicht länger auf Malta ausharren. Niemand wird hier auf dieses Leben in Europa vorbereitet, keiner der Flüchtlinge kennt die Regeln. Die Abwehrhaltung aber der Regierung und die in vielen Leserbriefen unterstützte Meinung besagt, dass man keine Anreize schaffen darf und besser denen zu Hause  übermittelt werden soll, wie furchtbar hier die Ankunft und Unterbringung ist. Man wird nach der furchtbaren Flucht durch die Sahara, den entsetzlichen Lebensbedingungen als Flüchtling in Libyen, nach der Rettung von unsagbaren Booten, zur Begrüßung ins geschlossene Detention Centre verfrachtet. Und wenn man dann endlich die Freiheit erreicht, bei abgelehntem Asylgesuch erst nach 18 Monaten, sind die Lebensbedingungen in der Freiheit oft noch schlechter von den Konditionen her als das Detention Centre. Jede Verbesserung  der Lebensumstände von Flüchtlingen wird argwöhnisch betrachtet, jede Anfrage an die Menschenrechte wird als Affront aufgefasst und führt zur noch geschlosseneren Abwehrhaltung. Integration gar, Angebote in den Arbeitsmarkt, sind eine Frage, die noch viel zu jung ist, als dass sie irgendwo ernsthaft angegangen werden könnte.

 

Zudem gibt es einen offenen Rassismus, den eine regellose Verwaltung und eine untrainierte Polizei überall produzieren. Kaum interkulturelles Training, kaum Respekt, sondern eine offene Abwehr als Verteidigung gegen Fremde, ist eine Tradition dieses „Fortress“, dieses alten Forts zu Europa, das immer alle Einwanderungen, Angriffe und Islamisierungsversuche erfolgreich kriegerisch in seiner Geschichte abgewehrt hat und dieses mit touristisch attraktiven Feuerwerken permanent laut feiert und im kollektiven Bewusstsein wach hält.

 

So kann es eben passieren, dass zwei freundliche afrikanische Brüder von einem Polizisten aufgefordert werden, doch rasch zurück nach Afrika zu gehen, ohne dass dies wirklich öffentlich untersucht würde oder Konsequenzen hätte. Die Brüder sind ein nigerianischer und ein tansanischer Jesuit. Father Jospeh Cassar, der Leiter des  Jesuiten Flüchtlingsdienst hat sofort reagiert. Die öffentliche Meinungdass das nicht passiert wäre, wenn sie  ihre Kollarhemden getragen hätten, ist weit verbreitet. Was die anderen rund 3000 aus Afrika stammenden Menschen ertragen müssen, wird nur in diesem einen Vorfall blitzlichtartig sichtbar.

 

Was aber, wenn wirklich Vorfälle geschehen, die besser untersucht gehörten und  die einen bitteren Beigeschmack der Vertuschung hier hinterlassen? 

So der Fall von dem Mann aus dem Tschad, der traumatisiert war und als schwieriger Fall galt, der öfter in der Psychiatrie war als andere, dem berühmt berüchtigten „Mount Karmel“.

Er hatte eine Prügelei angezeigt, und sollte als Opfer gegen Malteser aussagen. Einen Tag vorher verstirbt er, da man ihn ins Wasser stürzt. Touristen, die als Augenzeugen die Polizei rufen, helfen immerhin mit, dass man dies nicht als Suizid deklarieren kann. Es sei ein „Joke“ gewesen, der unglücklich endete, so die Zeitung, was die Autopsie bestätigte. Aber wie kann man das bestätigen- und es bleibt offen, ob dies nun Malteser oder doch besser die Flüchtlinge waren, die ihn da in San Julian ins Wasser stießen. Doch die Umstände sind so mysteriös, dass man doch gerne bei verschiedenen Menschen nachfragt. „Stell besser keine Fragen!“ ist der Rat eines Freundes. „Das ist immer so,“ sagt eine andere, „Polizeiangelegenheit, Untersuchung- aber nichts kommt dabei raus“.

 

Dasselbe nun, nachdem Nigerianer aus dem Detention Centre entflohen sind, und die Polizei sie tatsächlich schnappte. Ein Nigerianer stirbt im Krankenhaus am Herzinfarkt. Intern heißt es, es gäbe Hinweise, dass er geschlagen worden sei. Nichts davon findet sich offiziell irgendwo in der Presse. Ein pensionierter Richter wird mit einer unabhängigen Untersuchung beauftragt.

Der Beigeschmack bleibt. Was nicht sein darf, ist einfach nicht wahr.

 

Nicht, dass so etwas nicht auch in Deutschland vorkommt:  der Fall Oury Jalloh ist solch brennende Menschenrechtswunde von Vertuschung, Schweigen und Verharmlosung, ohne echten Willen zur Aufklärung und mit einem vor Intransparenz strotzenden Polizeiapparat in Dessau. Und auch unsere Formen von katastrophaler Unterbringung für Asylsuchende und Flüchtlinge lassen uns nicht als die Gutmenschen hier auftreten. Auch bei uns landen viele Menschen auf der Straße, statt in sinnvollen Integrationsmaßnahmen. Und dass bei uns gut integrierte Menschen aus ihrem Job heraus, mit Kindern, die in Deutschland groß wurden, einfach nach zehn oder zwölf Jahren abgeschoben werden, halten auch Malteser für einen wirklichen Skandal.

 

Doch dass bei der schlechten Bezahlung und der nicht gezahlten Arbeitslosenunterstützung Menschen, die eigentlich willig sind, sich zu integrieren, kaum aus den Open Centren ausziehen, weil sie dann jeden Schutz und jede Aussicht auf ein Bett in Notzeiten verlieren würden, kann ich nachvollziehen. Und auch dass die vielen somalischen Frauen aus ihrer Unterkunft nun ausziehen müssen, weil der Platz für die angekommenen eritreischen Frauen und Kinder dringend gebraucht wird, könnte ich begreifen, wenn es nicht so unvorbereitet und ohne jede Hilfe geschieht. Die Frauen ohne Aussicht auf Unterstützung bei der Wohnungssuche- und es gibt viel Leerstand auf Malta,- werden in die Obdachlosigkeit entlassen und werden dann sehr schnell schwanger, weil das wiederum eine Unterstützung ,, eine staatliche Unterbringung bedeutet. Die Regierung reagiert und agiert nicht. Es gibt keine Integrationspläne, keine Unterstützung für Schulen und Kindergärten. Integration ist ein Nicht-Thema. So ist es nachvollziehbar, dass die Regierung gerne die Flüchtlinge alle im Süden der Insel, in der Unsichtbarkeit des ehemaligen englischen Militärgeländes HalFar belassen möchte, damit das Tourismusgewerbe nicht leidet. Es gibt dort keine einzige Arbeitsmöglichkeit oder irgendeine Freizeitbeschäftigung für Hunderte von Menschen. Das nötige Fahrgeld für den Bus kann von vielen kaum aufgebracht werden.

 

So sitzen sie im Tent Village, 700 bis 800 Menschen, zu 25 Menschen in einem Zelt, mit  einem großen zerrissenen Party-Zelt als Gemeinschaftstreffpunkt, mit der vollmundigen Ankündigung auf einem Plakat, dass dies von der EU mitfinanziert wurde. Immerhin: die Küche wurde hier mit europäischen Mitteln gebaut. Die Container sind alt und ausrangiert von Italien, 16-18 Leute teilen sich einen Metallcontainer, der im Sommer unerträglich heiß wird, im Winter auskühlt. Die Toiletten sind bis heute, immer noch nach Jahren, Chemieklosetts.

Und nun ist der Hangar wieder voll, der nach einem Brand von Betten erst im Herbst letzten Jahres geschlossen wurde. Nur, weil in Europa niemand diesem Inselstaat hilft und beisteht.

 

Dublin-II, dieses Abkommen, wonach der Staat, der die Flüchtlinge aufnimmt, für die Durchführung des Asylgesuchs zuständig ist, führt dazu, dass zusätzlich zu den ankommenden neuen Flüchtlingsbooten, letztes Jahr ca 570 Flüchtlinge aus anderen europäischen Ländern zurückgeschoben wurden. Dafür übernahmen die europäischen Länder freiwillig 320 Fälle von Malta, im sogenannten Relocation-Programm EUREMA.

Ein Moratorium für das Dublin II- Abkommen! Eine zeitliche Denkpause für diesen Unsinn. Von der Mitte Europas sich die Flüchtlinge vom Hals zu halten, alle zurückzusenden und gute Ratschläge zu geben, ist keine wirkliche Hilfe. Und auch die neuerliche Aufnahme von 100 Fällen, wie jetzt von Deutschland angeboten, ist angesichts von über 30 Rückschiebungen im letzten Jahr und 1100 ankommenden Flüchtlingen aus Libyen einfach nur eine symbolische Geste, keine wirklich systematische Hilfe.

 

Es ist Zeit, dass die, die eine Ahnung davon haben, wie das Leiden von Flüchtlingen innerhalb Europas verschlimmert wird, mitreden und angehört werden.

 

Es braucht ein Screening-Verfahren, dass schnell alle ankommenden Flüchtlinge erfasst und dann mit Kontingenten nach Europa verteilt. Andernfalls nutzen afghanische Flüchtlinge weiter selbstmörderische Methoden, um aus Griechenland wegzukommen und das nördliche Europa zu erreichen. Andernfalls steigen die Schlepperpreise innerhalb Europas, statt dass innerhalb Europas Schlepperei und mafiöse Tendenzen aktiv bekämpft werden. Europa braucht ein aktives Aufnahmesystem für arbeitswillige  Migranten, nicht nur für die eigene Wirtschaft, statt ein Abwehrsystem, dass tödlich ist.

Europa braucht ein Verfahren, damit verwundbare Flüchtlinge schneller erkannt werden, wie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, schwangere Frauen und Frauen mit Kindern, um diese dann sicher zum Beispiel zu Verwandten und  Angehörigen weiterreisen zu lassen, statt ihnen eine weitere, unsicher, gefährliche, selbst organisierte Flucht zuzumuten und sie nach dem Dublin-II- System auf teuere Weise zurückzuschieben.

 

Eines brauchen wir auf alle Fälle, um als Europa überlebensfähig zu bleiben: eine offene, aufnahmebereite Gesellschaft, die allen populistischen anti-europäischen und anti-migrantischen Hetzern zum Trotz an den Werten Europas festhält und Menschen, die dies vorleben, schulen, trainieren und weitersagen.

 

Auch auf Malta. 

Fanny Dethloff