Kommentar von Georg Pelzer
Das Schweigen der Hirten oder Sexuelle Gewalt gibt es nicht
19.07.06
Nun ist es fast vier Jahre her, dass die Übergriffe sexueller Art von Priestern an Kindern und Jugendlichen in den USA öffentlich wurden. Auch in Deutschland gab und gibt es immer wieder Fälle von sexueller Gewalt von Priestern, aber auch anderen kirchlichen Mitarbeitern an Schutzbefohlenen.
Die Deutsche Bischofskonferenz trat fortschrittlich auf, indem Sie schon im Herbst 2002 als Reaktion auf die Schlagzeilen in den USA Leitlinien „Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ verabschiedete.
Schnell hatte jede Diözese einen Beauftragten ernannt, der bei entsprechenden Meldungen aktiv werden sollte. Wobei zu beachten ist, dass nur sieben Diözesen unabhängige Experten beauftragten, die sich mit dem Thema und mit entsprechenden Anzeigen befassen sollten.
Dass die Praxis anders aussieht als die Theorie, war eigentlich schon vorab zu sehen.
Kaum ein Fall, der es bis an die Öffentlichkeit schafft, kaum ein Fall, der wirklich beim Staatsanwalt landet. Vielfach wird immer wieder unter den Teppich gekehrt, was nicht sein darf. Zwar reagiert die Kirche heute bei Vorwürfen nicht mehr nur einfach mit Versetzung, sondern fordert von den „Tätern“ eine Therapie, nach deren Abschluss aber wieder der Einsatz für die Kirche steht.
Die Ausgestaltung der Leitlinien sind jedem einzelnen Bistum und Bischof überlassen, es gibt keine Kontrollinstanz oder eine übergeordnete Stelle, die deren Einhaltung überprüft. Von daher ist aus dem anfänglichen Wirbelsturm im Kirchenturm nur ein leichtes Lüftchen oder sogar Gegenwind geworden. Gegenwind nämlich, der den Opfern ins Gesicht bläst und die in den seltensten Fällen wirklich Recht, Hilfe und Entschädigung bekommen.
Aber selbst der Vatikan bremst bei der Verfolgung solcher Straftaten. Jüngstes Beispiel ist der Gründer der Legionäre Christi, Marcial Maciel Degollado, seines Zeichens 86 Jahre alt. Immer wieder klagten ehemalige Ordensmitglieder ihn der Vergewaltigung an, die Fälle reichen bis in die 50er Jahre zurück. Zuletzt klagten 1997 neun ehemalige Seminaristen, Maciel habe sie als Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren in Spanien und Italien vergewaltigt - das Verfahren wurde 1999 eingestellt. Doch der Fall Maciel kam nicht zur Ruhe und wurde 2005 neu eröffnet. Doch wegen seines hohen Alters wurde er nun "gebeten", "ein zurückgezogenes Leben des Gebetes und der Buße zu führen" und gefälligst nicht mehr öffentlich in Erscheinung zu treten. Das war´s, keine Anklage, keine Verurteilung. (siehe auch Kommentar von Bernd Göhrig vom 21.05.06)
Wenn sich Ende September die Verabschiedung der Leitlinien zum 4. Mal jährt, täten die Bischöfe gut daran, selbstkritisch zu fragen, ob diese Leitlinien das bewirkt haben, was sie sollten oder ob es nicht endlich an der Zeit wäre, zu handeln. Nicht nur um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen, sondern besonders um der Opfer willen.